Zwischen Kontinentalplatten und Großmachtinteressen: Islands einzigartige Position als NATO-Gründungsmitglied ohne Armee rückt in Zeiten geopolitischer Spannungen neu in den Fokus.
Island befindet sich in einer besonderen geopolitischen Position: Als Gründungsmitglied der NATO verfügt das Land über keine eigene Armee, und trotz seiner tiefen Verwurzelung in Europa ist es kein EU-Mitglied. Für die USA hat die Insel zusammen mit Grönland eine entscheidende sicherheitspolitische Bedeutung – besonders wegen ihrer Lage auf potenziellen Flugbahnen russischer Atomsprengköpfe.
Die lange Zeit in relativer Isolation lebenden Isländer sehen sich heute mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Die Insel südlich des Polarkreises, zwischen Grönland und Norwegen gelegen, spürt zunehmend die Auswirkungen verstärkter militärischer Aktivitäten im Norden und die wachsenden Spannungen zwischen Amerika und Europa. Von der modernisierten Luftwaffenbasis Keflavik im Südwesten Islands patrouillieren inzwischen regelmäßig amerikanische U-Boot-Jagdflugzeuge. Europäische NATO-Kampfjets nutzen den Stützpunkt im Wechsel für Einsätze im Luftraum zwischen Island und Russland, während alliierte U-Boote und Kriegsschiffe isländische Häfen anlaufen.
Wie das Wall Street Journal berichtet, versucht das Land mit seinen 400.000 Einwohnern, die Interessen beider Kontinente auszubalancieren – an jenem Punkt, wo die tektonischen Platten Nordamerikas und Europas aufeinandertreffen. Ähnliche geopolitische Spannungen zeigen sich auch im rund 1.200 Kilometer entfernten Grönland, das Donald Trump einst unter amerikanische Kontrolle bringen wollte. Obwohl Island nicht über vergleichbare Bodenschätze verfügt, hat es für Amerika und die NATO strategischen Wert: Während des Kalten Krieges diente die Insel als Basis zur Überwachung sowjetischer Schiffe. Nach der Zunahme der Spannungen mit Russland 2014 investierte die NATO erneut in militärische Infrastruktur auf der Insel.
Wirtschaft und Herausforderungen
Die traditionell von der Fischerei geprägte Wirtschaft Islands hat sich dank reichlich vorhandener geothermischer und hydroelektrischer Energie zu einem Technologiestandort entwickelt. Günstige „grüne“ Elektrizität und Innovationsfreundlichkeit haben Industrien von der Aluminiumproduktion bis zu digitalen Dienstleistungen angezogen. Gleichzeitig steht das Land vor neuen Herausforderungen: Der Klimawandel öffnet ehemals unpassierbare arktische Wasserwege, was zu verstärkten militärischen Aktivitäten in der Region führt. Zudem wirken sich die Spannungen zwischen der Trump-Regierung und Europa auch auf Island aus.
Im Gegensatz zu den vier anderen nordischen Ländern – Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden, die alle entweder Landgrenzen zu Russland haben oder an der Ostsee liegen und ihre Verteidigung angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine verstärken – verfolgt Island einen anderen Ansatz. Für die russische Marine ist die sogenannte „GIUK-Lücke“ (Grönland-Island-Vereinigtes Königreich) ein strategisch wichtiger Korridor im Nordatlantik. Russische U-Boote müssen beim Passieren dieses Seegebiets näher an die Oberfläche kommen, was ihre Entdeckung erleichtert.
In Island wird nun diskutiert, ob das Land in Verteidigungsfragen aktiver werden und die 2013 abgebrochenen EU-Beitrittsgespräche wiederaufnehmen sollte. Premierministerin Katrin Jakobsdottir plant, bis 2027 ein Referendum zu dieser Frage abzuhalten, nachdem die Regierung andere, dringendere Themen bearbeitet hat. Einige Isländer sehen in Trumps Politik einen Anreiz, sich früher der EU zuzuwenden. Eine der zentralen Fragen ist die Überarbeitung der nationalen Verteidigungsstrategie. Jakobsdottir betonte in einem Interview die Bedeutung einer öffentlichen Debatte zu diesem Thema, „weil militärische Aktivitäten auf Island manchmal unter dem Radar waren“. Sie fügte hinzu: „Es war unangenehm, darüber zu sprechen“, und stellte klar, dass es „nie öffentliche Unterstützung für eine Armee auf Island gab“, dies aber „nicht bedeutet, dass sie keine aktive Verteidigung und Bündnisse haben können“.
Aktuelle Entwicklungen deuten jedoch auf einen Wandel in der isländischen Verteidigungspolitik hin. Laut Berichten vom April 2025 erwägt Island erstmals ernsthaft die Schaffung einer eigenen Armee. Umfragen zeigen, dass bis zu drei Viertel der Bevölkerung ein stärkeres Engagement für die nationale Sicherheit unterstützen – bis hin zur Bildung einer eigenen Verteidigungsstreitmacht. Als einziges NATO-Gründungsmitglied ohne eigene Streitkräfte hat Island bisher nur 0,15 Prozent seines BIP für Verteidigung ausgegeben – weit unter der NATO-Vorgabe von mindestens 2 Prozent. Die sicherheitspolitische Neuausrichtung wird mit der zunehmenden globalen Instabilität und der wahrgenommenen abnehmenden Verlässlichkeit der USA begründet, was das Land zu einer stärkeren Orientierung in Richtung Europa bewegt.
Militärische Beziehungen
Wie andere nordische Staaten hat Island lange versucht, eine Militarisierung der Arktis zu verhindern. Da dies nicht mehr möglich erscheint, erwägen die Isländer nun, wie eine erweiterte Verteidigung aussehen könnte. Die isländische Küstenwache übernimmt bereits eine größere Rolle, einschließlich der Verwaltung der Luftwaffenbasis Keflavik und der Luftverteidigungssysteme.
Die militärischen Beziehungen zwischen den USA und Island reichen bis in den Zweiten Weltkrieg zurück, als amerikanische Truppen die Insel besetzten, um einer deutschen Invasion zuvorzukommen und die Versorgungsrouten zur Sowjetunion zu sichern. Bei der Gründung der NATO 1949 betrachtete Washington Islands Lage als entscheidend für die Sicherung der Seeverbindungen nach Europa und nahm das Land in das Bündnis auf. Ab 1951 verteidigten amerikanische Militäreinheiten Island auf Grundlage eines bis heute gültigen Verteidigungsabkommens. Dennoch zogen die USA ihre Streitkräfte 2006 von der Insel ab, um sich auf den Kampf gegen den Terrorismus zu konzentrieren. Island blieb nach dem Kalten Krieg in der NATO aktiv.
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