Ungarns Verfassungsänderungen zu Staatsbürgerschaft und Kinderschutz sorgen für Aufsehen. Das Orbán-Regime ermöglicht nun den Passentzug bei Doppelstaatsbürgern und verankert das umstrittene Anti-LGBTQ-Gesetz in der Verfassung.
Im ungarischen Parlament wurden am Montagnachmittag zwei bedeutsame Verfassungsänderungen beschlossen. Die erste Novelle ermöglicht künftig den zeitweiligen Entzug des ungarischen Passes bei Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft, sofern diese neben der ungarischen eine Nicht-EU-Staatsbürgerschaft besitzen. Die zweite Maßnahme hebt das seit 2021 bestehende umstrittene Kinderschutzrecht in den Verfassungsrang.
Die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban begründet die Änderungen mit der Notwendigkeit, ausländische Einflussnahme zurückzudrängen. Die neue Regelung tritt bereits am Dienstag in Kraft. Laut Erklärung der Regierungspartei FIDESZ richtet sich die Maßnahme gegen Personen, die „eine Bedrohung für die öffentliche und nationale Sicherheit darstellen“.
Der Parlamentsfraktionsvorsitzende Mate Kocsis präzisierte auf Facebook, man ziele besonders auf NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und „angeblich unabhängige Medien, die sich in die inneren Angelegenheiten Ungarns und in Wahlprozesse einmischen“.
Weitreichende Folgen
Der Verfassungsrechtsexperte Markus Böckenförde erwartet, dass die Maßnahmen „international Aufmerksamkeit erregen“. Er erläutert, dass betroffene Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft für bis zu zehn Jahre des Landes verwiesen werden könnten.
Böckenförde weist darauf hin, dass Orban selbst NGOs, die „ausländische Gelder erhalten und im Auftrag der liberalen Netzwerke agieren am liebsten von der Landkarte streichen“ würde.
„Bereits Ende 2023 hat Ungarn das Souveränitätsgesetz gegen ausländische Einflussnahme verabschiedet“, erklärt der Rechtsexperte.
Die EU-Kommission leitete bereits im Februar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen dieses Gesetz ein. Die CEU, Böckenfördes Wirkungsstätte, musste aufgrund des massiven Drucks von Seiten Orbans ihren Hauptsitz von Budapest nach Wien verlegen.
Die Hochschule wird vom gebürtigen Ungarn und in den USA eingebürgerten Milliardär George Soros gefördert. Beobachter vermuten, dass die neue Regelung zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatsbürgern gerade auf Personen wie Soros abzielen könnte.
Anti-LGBTQ-Gesetze
Bereits vor vier Jahren verabschiedete Ungarn ein Kinderschutzgesetz, das Minderjährigen den Zugang zu Informationen über nicht-heterosexuelle Lebensformen untersagt. Infolgedessen dürfen beispielsweise Harry-Potter-Filme nicht mehr tagsüber im ungarischen Fernsehen ausgestrahlt werden, und thematisch ähnliche Medien müssen für Minderjährige unzugänglich bleiben.
Schon damals wurde festgelegt: Nur eine Frau kann Mutter, nur ein Mann Vater sein. Dieses Gesetz zum „Schutz der körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung und das Recht auf ein dem Geburtsgeschlecht entsprechende Identität von Kindern“ wurde nun in den Verfassungsrang erhoben.
Die neue Verfassungsformulierung lautet: „Das Geschlecht eines Menschen ist von Geburt an eine biologische Tatsache, der Schöpfungsordnung entsprechend entweder Mann oder Frau.“
Zusätzlich verabschiedete das Parlament in Budapest am Montag ein einfaches Gesetz, das laut Böckenförde „auf das bereits vor einem Monat verabschiedete Verbot der jährlichen Pride-Parade in Budapest abzielt“. Dieses Gesetz erlaubt den Einsatz von Gesichtserkennung und die Verhängung von Strafen bis zu 500 Euro für Teilnehmer, die trotz Verbots an der für den 28. Juni geplanten Pride teilnehmen sollten.
Im ungarischen Parlament hatte das Pride-Verbot heftige Reaktionen ausgelöst: Oppositionspolitiker zündeten während der Abstimmung Rauchbomben, konnten jedoch die Verabschiedung des Anti-LGBTQ-Gesetzes nicht verhindern.
Premierminister Orban hatte die in Budapest traditionell stark besuchte Pride-Parade, eine Veranstaltung zur Unterstützung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, bereits im Februar als „Zeit- und Geldverschwendung“ bezeichnet.
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