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11 BESCHULDIGTE AUSGEFORSCHT

Tschetschenische „Sittenwächter“: Hunderte weibliche Opfer

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(FOTO: LKA WIEN)

Mitte August hat die Wiener Polizei von tschetschenischen „Sittenwächtern“ berichtet, die Landsfrauen bei zu „westlichem“ Auftreten bedroht hatten. Seither laufen die Ermittlungen. Elf Beschuldigte sind mittlerweile bekannt. Vier Personen sind in U-Haft.

Das Wiener Landeskriminalamt ermittelt derzeit gegen selbsternannte „Sittenwächter“ aus der austro-tschetschenischen Community. Sie sollen aus Tschetschenien stammende Frauen sowie deren Partner und Familien verfolgt und über „sittenhaftes Verhalten“ belehrt haben (KOSMO berichtete). Sie beschuldigten diese, sich als „zu westlich“ auszugeben und nicht den Wertvorstellungen ihrer Kultur zu entsprechen.

„Sittenwidrige“ Frauen nach islamistisch-konservativen Kriterien beurteilt
Die Organisation soll hierarchisch organisiert gewesen sein und in geheimen Chatgruppen kommuniziert haben. Die Männer sollen zumindest seit Anfang des Jahres Frauen mit tschetschenischer Migrationsgeschichte im Internet und auf der Straße beobachtet haben und sie nach islamistisch-konservativen Kriterien beurteilt haben. Dabei soll laut Aussage der Opfer ein Foto im Badeanzug oder auch nur eine Beziehung zu einer nicht tschetschenisch-stämmigen Person ausgereicht haben, um ins Visier der Täter zu gelangen.

Agierten die Frauen nicht, wie es den Männern passte, so sollen diese nicht nur aufgesucht und „belehrt“ worden sein. Die Männer sollen auch Fotos der Frauen veröffentlicht haben und diese teilweise vor Gebetsräumen ausgehängt haben. In manchen Fällen seien die Frauen auch verfolgt und körperlich misshandelt worden, berichtet die Polizei. Ins Rollen war der Fall gekommen, nachdem sich eine Betroffene an die Polizei gewandt hatte.

Vier Personen in Haft
Die Organisation handelte laut Polizei vorwiegend in geschlossenen Chatgruppen auf verschiedenen Plattformen, wo das angeblich „sittenwidrige“ Verhalten der Frauen beobachtet und protokolliert wurde. Das erschwerte gleichzeitig mögliche Ermittlungen, heißt es von der Polizei. Mittlerweile werden in dem Ermittlungsakt elf namentlich bekannte Personen – darunter auch eine Frau – als Beschuldigte geführt. Sie alle haben die russische Staatsbürgerschaft.

„Es dürfte eine hohe Dunkelziffer weiterer unbekannter Täter geben, die in verschiedenen Formen der kriminellen Struktur zugearbeitet hatten“

Vier der elf ausgeforschten Personen befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Sie wurden wegen der „Gründung einer kriminellen Vereinigung“ sowie eines „verbrecherischen Komplotts“ und Nötigung angezeigt. „Aufgrund der gesichteten Daten und der bislang erworbenen Erkenntnisse dürfte es aber eine hohe Dunkelziffer weiterer unbekannter Täter geben, die in verschiedenen Formen der kriminellen Struktur zugearbeitet hatten“, berichtet die Polizei.

Auf Opferseite sind derzeit zehn Frauen namentlich bekannt. „Die Zahl der Opfer könnte aber durchaus im dreistelligen Bereich liegen“, schätzt die Polizei.

Große Datenmengen sichergestellt
Im Zuge von Hausdurchsuchungen wurden laut Polizei rund 60 Gigabyte an Datenmaterial in Form von Chatprotokollen, Bildern und Videos sichergestellt. Die Sichtung und Auswertung dieser Daten dauerte mehrere Wochen. Auf einem Laptop fanden die Beamten beispielsweise eine Datenbank, wo akribisch die Online-Aktivitäten hunderter junger Frauen gesammelt wurden. Ob alle dieser Frauen aber tatsächlich Opfer der kriminellen Gruppe geworden sind, ist noch unklar, da sich noch nicht mehr mehr Opfer bei der Polizei gemeldet hätten.

Ermittlungen wegen Waffenhandels
Es wurden auch Videos gesichert, wo unbekannte Personen körperlich misshandelt werden. Hierbei konnten auch Hinweise auf weitere strafbare Handlungen sichergestellt werden. Die Verdachtsmomente gehen in Richtung Waffenhandel, Freiheitsentziehung, schwerer Körperverletzung und Auto-Diebstahl. In diesen Fällen wird derzeit noch gegen unbekannt Täter ermittelt. Es sei noch nicht bekannt, ob die Fälle zusammenhängen und wo diese Videos überhaupt aufgenommen wurden. Besonders schwer würde die Ermittlungen auch machen, dass alle Beschuldigten zahlreiche Aliasnamen verwenden würden.

„Es geht Bande eher um Geld“
Klar ist für Eidenberger, dass die Personen nicht nur nach eigenen Regeln leben, die im Widerspruch zum Rechtsstaat stehen, sondern auch den Islam „viel strenger auslegen“ als üblich. Dementsprechend verurteilt werden die Vorfälle auch in der austro-tschetschenischen Gemeinschaft: „Solche Verbrechen haben nichts mit nationaler Mentalität zu tun“, ist Khuseyn Ishkanov, ein nach Österreich geflüchteter Exil-Politiker und Obmann des Kulturvereins Ichkeria, überzeugt.

In Tschetschenien sei es verpönt, sich in die Angelegenheiten anderer Familien einzumischen. Ishkanov ist der Meinung, dass es der Bande eher um Geld als um konservative Werte ging. Darauf würden der mutmaßliche Waffenhandel und Diebstahl hinweisen. Er hoffe jedenfalls, dass das Gesetz jetzt mit voller Härte durchgreift.