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REPORTAGE

„Ein Gruß aus meinem Fenster“: Diese Facebook-Gruppe kämpfte gegen Depression während des Lockdowns

Ein Gruß aus meinem Fenster (FOTO: iStock)

In der Zeit des Lockdowns aufgrund der Corona-Epidemie, als viele in Depressionen und Verzweiflung verfallen sind, gründeten zwei junge Damen, eine aus Serbien, die andere aus Kroatien, eine Facebook-Gruppe, die Menschen verbunden und ihnen rettenden Halt geboten hat.

Wir alle werden die Zeit wohl kaum vergessen, in der wir in vollständiger oder teilweiser Isolation leben mussten, als die Älteren sich nach Sonne gesehnt haben und die Jüngeren von zu Hause aus gearbeitet haben und als der Computer den Kindern das Klassenzimmer ersetzt hat. Die meisten haben die Welt nur von ihrem Fenster aus gesehen, der Wechsel der Jahreszeiten ist an uns vorübergegangen und statt in der Natur oder im Kaffeehaus haben wir uns in den sozialen Netzwerken getroffen. Und genau dort wurde die FB-Gruppe „Pozdrav s mog prozora“ („Ein Gruß aus meinem Fenster“) gegründet, in der Menschen aus Ex-Jugoslawien ebenso wie andere, die in der Region oder auch in allen anderen Teilen der Welt leben, Fotos von ihrer beschränkten Aussicht hochgeladen haben. Unter die Bilder schrieben sie Kommentare und manchmal sogar ganze Geschichten. Sie haben Erfahrungen ausgetauscht und einander Mut gemacht, wenn die Enge zu Hause zu bedrückend wurde. Ohne diese Gruppe hätten viele nicht gewusst, dass es auf allen Breitengeraden Landsleute von uns gibt, selbst in exotischen und fast unbekannten Gegenden. Und wir alle haben im selben Topf geschmort, unabhängig davon, was wir sonst machen, wie erfolgreich wir sind und welcher Religion oder Nation wir angehören. Auf einmal war das nicht mehr wichtig, wir waren alle gleich, ohne Grenzen, ohne hässliche Relikte der Vergangenheit und mit einer ungewissen Zukunft.

Als dieser Artikel verfasst wurde, hatte die Gruppe etwa 73.000 Mitglieder aus über 140 Ländern. In dieser Zeit wurde auch Geld für den Druck des Buchs „Pozdrav s mog prozora“ gesammelt, das im Februar herauskommen soll. Die Administratoren, sieben an der Zahl, planen darüber hinaus eine Wanderausstellung der schönsten Fotos und währenddessen wächst die Gruppe immer noch weiter. Die fremden Fotos bringen vielen Mitgliedern einen Blick in die Welt, die sie wegen Corona nicht bereisen können. Über ihre persönlichen Erfahrungen mit den Restriktionen und über den Austausch der Grüße aus dem Fenster hat KOSMO mit den beiden Damen gesprochen, die das Projekt ins Leben gerufen haben, und mit den Leuten, die helfen, es weiter am Leben zu erhalten.

Slavka Antić (41) aus Subotica, Tourismusmanagerin

Slavka Antić (FOTO: zVg.)

Die Gruppe wurde am 10. April dieses Jahres gegründet. Zu diesem Schritt hat mich mein Wunsch inspiriert, unsere Landsleute aus den ehemaligen jugoslawischen Republiken zu verbinden, egal wo sie leben. Der spezifische Moment, den wir da erlebten, hat mich dazu gebracht, denn ich halte mich nicht gerne zwischen vier Wänden auf. In Serbien hatten wir eine Polizeistunde und viele Beschränkungen und der Ausblick war für uns Tag für Tag gleich. Und selbst, wenn ich die schönste Landschaft der Welt vor mir gehabt hätte, wäre es langweilig geworden, sie immer aus derselben Perspektive zu sehen. In den vergangenen Monaten war für mich das Schlimmste, dass ich nicht ans Meer fahren konnte, in den kleinen Ort, in den ich jedes Jahr fahre. Mir hat vieles gefehlt, aber durch den Kontakt mit den Menschen in der Gruppe bin ich Optimistin geblieben.

Snezana Arsenijević Ex Bogdanović: „Grüße aus der ehemals bekanntesten Stadt der Welt, Bergamo in Italien. Neben den furchtbaren Fotos, die aus dieser Stadt kommen, möchte ich auch sagen, dass ich in diesen grausamen Zeiten zwei Mal Großmutter wurde. Zwei Mädels haben etwas voreilig das Licht der Welt erblickt und jetzt warten wir sehnlichst darauf, dass sie nach Hause kommen. Bleibt gesund!“ (FOTO: Facebook-Screenshot)

Ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet, dass das alles solche Ausmaße annehmen würde. Die Menschen haben angefangen Fotos und dazu Nachrichten einzuschicken, jeden Tag kamen viele, und so habe ich viel Zeit am Computer verbracht und habe nicht mehr darüber nachgedacht, was uns da gerade passierte. Die Bilder kamen aus allen Teilen der Welt: aus Indien, Kambodscha, von den Seychellen… Zuerst meldeten sich meine Freunde, die in alle Winde verstreut waren; die luden wieder ihre Bekannten ein und so überstieg die Zahl schnell meine Erwartungen. Faszinierend war, dass niemand über Politik, Spannungen und Konflikte schrieb. Wir haben alle versucht, einander mit den Bildern den Alltag zu verschönern, das war unsere grundlegende Motivation. Die Nachrichten waren manchmal wunderbar: Die einen boten Hilfe an, andere luden die Mitglieder aus derselben Stadt zu sich zu Besuch ein, und eine Dame fand am anderen Ende der Welt einen Verwandten wieder. Ich kann nicht ausschließen, dass sich zwischen einigen Mitgliedern der Gruppe sogar Liebesbeziehungen entwickelt haben.

Slavka Antić: „Die Gruppe wurde am 10. April 2020 gegründet.”

Als die Gruppe größer wurde, musste man sie auch betreuen, und da fand sich ein Team, das die Administratoraufgaben übernommen hat. Neben mir war das meine Freundin und Kollegin Iva Hafner aus Wien, dann die Suboticaerin Dragana Vilus, aus Zadar schloss sich Iva Brncun an, Damir Subotić lebt in Holland, Goran Pleše in Poreč und Miljan Brašanac in Wien. Jetzt arbeiten wir engagiert an der Vorbereitung eines Buchs, das im Februar mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren das Licht der Welt erblicken soll, und in Planung ist auch eine Wanderausstellung der schönsten Fotos aus der Gruppe. Wir wollen, dass unser Projekt auch etwas Greifbares bekommt, damit sich die Menschen an unsere FB-Gruppe erinnern.

Iva Hafner (42), Tourismusmanagerin aus Wien

Iva Hafner (FOTO: zVg.)

Ich bin der Gruppe schon ein paar Tage nach ihrer Gründung beigetreten und habe meine Freunde aufgefordert, auch dazuzukommen. Ich war damals in Zagreb, das war die Zeit nach dem Erdbeben, als noch immer alles wackelte. Die Idee zur Gründung der Gruppe hatten wir gemeinsam. Ich erinnere mich, dass sich die Menschen aus Serbien viel schneller und in größerer Zahl anschlossen, wahrscheinlich, weil sie stärker unter den Beschränkungen litten als wir in Kroatien.

Dragana Zlatković: „Auch weiterhin ohne der Möglichkeit, uns mit anderen zu treffen und während wir das Social Distancing einhalten, „stehlen“ wir uns aus der Wohnung, um etwas Frischluft zu schnappen und wärmen uns am Dach des Hauses bei unglaublichen 38°C. In Hintergrund das City Center — Doha, Katar, eingefangen von meiner Schwiegermutter Marina Zlatković.” (FOTO: Facebook-Screenshot.)

Es gab sehr interessante Beiträge: Manchmal gab es lange Nachrichten voller Emotionen und Ermutigung, aber es kamen auch Fotos mit sehr wenig Text, bei denen die Motive mehr erzählten als Worte. Als Italien groß in den Medien war, schickten uns Menschen aus Bergamo und Mailand Fotos. Diese Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit waren schrecklich und die Mitglieder der Gruppe schickten ihnen sehr emotionale Botschaften der Unterstützung. Einige Leute verglichen die Pandemie und ihre Folgen mit dem Krieg, aber das Wichtigste war, dass wir alle wussten, dass wir im selben Boot saßen, egal wo wir leben. Es gab Leute, die aus ihrem Fenster die Wand des Gebäudes gegenüber fotografierten, was zeigte, wie schlimm es war, mit einem solchen Ausblick eingesperrt zu sein, aber es gab auch Ältere, die trotz der Isolation nicht den Sinn für das Schöne verloren und daraus Kraft gewannen.

Iva Hafner: „Es war die Zeit nach dem Erdbeben in Zagreb.”

Da man uns in Zagreb geraten hatte, zu Hause zu bleiben, bin ich nur vor die Tür gegangen, um mit meinem Hund spazieren zu gehen und einzukaufen. Im Treppenhaus hatte ich einen Zettel aufgehängt, dass ich älteren Personen helfen könnte, ihre Einkäufe heimzubringen, und das habe ich besonders nach dem Erdbeben gemeinsam mit einigen weiteren jungen Leuten gemacht. Ich glaube, damals war die Angst vor dem Erdbeben größer als die vor Corona, denn wir alle hatten die Folgen vor Augen. Wenn ich zu Hause war, begann ich, die Kronen der Bäume vor meinem Fenster und die Vögel zu fotografieren. Niemals zuvor hatte ich auf ihre Bewegungen und ihre Nester geachtet, und das war faszinierend, denn ich begann Details wahrzunehmen, die ich vorher sicher nicht gesehen hätte. Es war gerade Frühlingsbeginn, die Vögel waren frei und wir eingesperrt wie im Käfig.

Zu all dem war es gekommen, weil ich Ende Februar dienstlich nach Zagreb gereist war und dann drei Monate dortbleiben musste, getrennt von meinem Mann, der nicht nachkommen konnte. Positiv war nur, dass ich meinen Eltern nach dem Erdbeben helfen konnte zu übersiedeln, weil ihre Wohnung beschädigt war.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.