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INTERVIEW

Senada: „Meine Sabina ist noch am Leben!“

KOSMO: Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Tochter gesprochen?
Sabina hat mich zuletzt am 10. März 2019 kontaktiert. In dem Dorf, in dem sie mit anderen Frauen und Kindern war, kam es zu Kämpfen, das war die letzte Hochburg des IS. Am 13. März flohen sie zu den Kurden. Sie mussten einen Teil des Weges zu Fuß zurücklegen und dann in Busse einsteigen, um zum Lager zu gelangen. Sabina wurde jedoch unterwegs am Oberarm verletzt, sie blutete stark, sie verlor das Bewusstsein vor Schmerzen, sie weinte … Ihre Freunde trugen sie, fielen dann jedoch in einen Graben, der über ihnen einstürzte und sie unter Erde begrub. Irgendwie konnten sie sich und die Kinder befreien. Sabina konnte nicht mehr laufen, also sagte sie den Frauen, sie sollten zumindest ihre Söhne retten und gab ihnen meine Telefonnummer. Später hörte ich, dass meine verwundete Tochter von zwei Männern in ein kurdisches Zelt-Krankenhaus gebracht wurde.

KOSMO: Welche Infos erhielten Sie daraufhin?
Ich wusste nichts bis am Morgen des 4. April, als mir eine Frau aus Wien, deren Schwiegertochter im Lager war, mitteilte, dass mein Kind tot sei. Ich kann nicht darüber sprechen, wie ich mich gefühlt habe … Aber ich begann zu suchen, zu schreiben und um zuverlässige Informationen zu betteln. In diesen schrecklichen Tagen waren wir, die wir dort Kinder hatten, vernetzt, wir teilten alle Neuigkeiten, die ankamen. So stieß ich auf Sabinas Freundinnen, die aus Deutschland nach Syrien gereist waren und in einem kurdischen Lager waren. Und sie bestätigten mir, dass meine Tochter tot sei, obwohl sie sie nicht tot gesehen hätten. Mir wurde gesagt, dass ihre Kinder einer Syrerin anvertraut wurden, mit welcher ich in Kontakt treten konnte.

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„Ich kann nicht darüber sprechen, wie ich mich gefühlt habe“, so Senada.
(FOTO: Amel Topčagić)

KOSMO: Was passierte danach?
Im April 2019 reiste ich nach Syrien, um Sabinas Kinder zu finden. Ich war in einer Gruppe mit ein paar österreichischen Journalisten und mehreren Eltern auf der Suche nach ihren Kindern. Auf der Suche nach dem Lager Al-Hol wurde ich von einer Frau in ein Krankenhaus begleitet. Dort habe ich meine Tochter gesehen. Sie trug einen Niqab, ich konnte nur ihre Augen und Augenbrauen sehen, aber ich erkannte mein Kind. Wir starrten uns in die Augen, ohne ein Wort zu sagen. Sie hob einfach beide Hände von ihrem Schoß und deutete mir, mich zu beruhigen und nichts zu sagen. Die Frau, die bei mir war, war geschockt und sagte mir, dass wir sofort raus müssen. Ich hatte nur für zwei Stunden die Erlaubnis, im Lager nach Sabinas Kindern zu suchen, und obwohl ich innerlich sehr erschüttert war, so war ich gleichzeitig überglücklich, dass mein Kind am Leben ist.

KOSMO: Haben Sie jemandem erzählt, dass Sabina am Leben ist?
Natürlich habe ich das getan, ich gab dem kurdischen Ministerium in Kamishli Bescheid und jemand sagte, dass Sabina nicht dort hätte sein sollen. Damals wusste ich noch nicht, dass meine Tochter tatsächlich entführt wurde und in diesem Krankenhaus versteckt war. Am nächsten Tag ging die Gruppe, mit der ich zusammen war, in den Irak, und ich wartete darauf, die Kinder zu sehen. Einen Tag später, während ich mit einem kurdischen Beamten wartete, erzählte ich, dass ich meine Tochter im Krankenhaus getroffen haben. Die Frau, die dort bei mir war, bestätigte meine Geschichte, und als ich ihr Bild zeigte, sagte sie sehr überzeugt, dass es meine Sabina sei. Leider konnte ich nicht mehr ins Krankenhaus, weil es Freitag war, ein Feiertag in diesem Teil der Welt, und einen Tag später wurde mir gesagt, dass ich Syrien sofort verlassen müsse.

Die Frau, die dort bei mir war, bestätigte meine Geschichte, und als ich ihr Bild zeigte, sagte sie sehr überzeugt, dass es meine Sabina sei.

Senada

KOSMO: Was geschah nach Ihrer Rückkehr nach Österreich?
Ich setzte meine Suche fort. Von verschiedenen Seiten wurde bestätigt, dass mein Kind lebt, einige kurdische Quellen haben das Gegenteil behauptet, und die Behörden in Wien haben gesagt, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Sabina lebt. Ich reiste noch dreimal nach Syrien, wo mir gesagt wurde, dass ich als Mutter meine Tochter dort nicht rausholen könnte, aber der Staat Österreich solle die Kurden bitten, nach einer Staatsbürgerin suchen zu dürfen. Die Österreicher sagen, dass Kurdistan ein nicht anerkannter Staat ist und sie keine Kommunikation mit ihnen haben, und die Kurden bestreiten dies und zeigen mir Fotos als Beweis. Während ich im Februar letzten Jahres zehn Tage lang im Irak auf die Einreise nach Syrien wartete, erhielt ich die Nachricht, dass eine Syrerin im Camp Roy mit meiner Sabina im kurdischen Krankenhaus in der Stadt Al- Hasaka gesprochen haben soll. Ich erfuhr, dass sich ihre Schusswunde entzündet hatte und sie deswegen oft im Krankenhaus war. Als ich endlich nach Syrien einreiste, brachte mich ein kurdischer Beamter zum Frauenbüro in Al-Hasak, wo ich Sabina Bilder herzeigte. Dort wurde mir von der Chefin gesagt, dass sie vor kurzem im Krankenhaus gesehen wurde, was sie kurdischen Beamten bestätigte. Sie erlaubten mir jedoch nicht, mein Kind zu sehen.

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