Verlässlich zu den Feiertagen kocht die große theologische Frage wieder hoch: War Jesus Kroate? Oder war er Serbe? Balkan Stories hat sich die Theorien genauer angesehen und bringt euch die Wahrheit über Jesus.
Es ist einer der seltenen Gelegenheiten, wo für alle drei großen Gruppen des Christentums die höchsten liturgischen Feiertage auf den gleichen Tag fallen: Katholiken, Protestanten und Orthodoxe feiern Ostern am 20. April.
Das war es schon mit der Einigkeit.
Bei so manchem Menschen mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien kocht eine Frage hoch: War Jesus Kroate? War er Serbe?
Beide Theorien haben ihre Anhänger. Keine dieser Theorien ist ein Scherz.
Alle gegen die Kroaten – vor allem die historischen Beweise
Den Anfang in diesem Spiel machte 1999 der kroatische Autor Tihomir Mikulić mit dem ersten Band seines Werks Otvoreni pečati („Geöffnete Siegel“, Übersetzung von Balkan Stories). In bislang sieben Bänden beschäftigt er sich mit der Geschichte der Kroaten. Beziehungsweise dem, was er dafür hält.
Hier entwirft er die Theorie, die Kroaten seien usprünglich in Judäa heimisch gewesen. Als Beweis führt er Ortsnamen und angebliche Eigenbezeichnungen ethnischer Gruppen im heutigen Israel und Palästina an. Jesus sei einer der ihren gewesen, und die Kroaten die ersten Christen.
In mehreren Wellen und auf verschlungenen Pfaden gelangten sie als Manichäer und als Katholiken von Israel über die Küste des Schwarzen Meeres ins heutige Dalmatien. Unter anderem habe der römische Kaiser Diokletian dort Manichäer angesiedelt, um das illyrische Wesen der damaligen Provinz Illyrien zu bekämpfen.

Dass die Sprache der ersten Christen Aramäisch war, und die ersten christlichen Texte auf Griechisch geschrieben wurden, ist für Mikulić kein Gegenbeweis.
Die Kroaten seien eigentlich keine Slawen. Sie seien erst im Frühmittelalter mit der Einwanderung slawischer Stämme am Balkan zwangsslawisiert worden.
Womit in den Augen von Fans von Mikulić der Beweis für die Theorie erbracht ist: Die Kroaten seien immer Ziel von Zwangsassimilation gewesen, von offenem Antikroatismus. Also müsse diese Behauptung ja stimmen.

Daneben spielt auch Namensmagie eine gewisse Rolle. So wird darauf verwiesen, dass der weltliche Vater von Jesus Josef hieß, und das ja ein beliebter Name bei den Kroaten sei.
Einer der Anhänger Mikulićs verstieg sich in einem Kommentar für das Portal Dnevnik gar zur Behauptung, Josef Stalin und Josip Broz hätten „Völkermord an den Kroaten“ begangen, und dieser sei „das größte Massaker der Menschheitsgeschichte“.
Wissenschaftlich ist Mikulićs These nicht anerkannt. Um es sehr höflich zu formulieren.
Immerhin behauptet er nicht, Historiker zu sein. Das ist in der Welt fragwürdiger Welterklärungstheorien auch schon was. In einigen Erklärungen heißt es gar, er schätze die kroatischen Historiker sehr, halte sie aber für etwas verwirrt.
Dem können die serbischen Freunde alternativer Welterklärungen nicht nachstehen.
Alle sind wir Serben, vor allem Jesus
Hier sind es gleich mehrere, die seit einigen Jahren die These propagieren, Jesus sei Serbe gewesen.
Den Anfang machte 2016 ein offenbar mittlerweile gelöschtes Video einer namentlich nicht genannten Youtuberin.
Sie behauptete, Jesus sei nicht in Palästina geboren worden sondern im Kosovo. Sein echter Name sei auch nicht Jesus gewesen. Er habe Manojlo Nemanjić geheißen.
Das würde Jesus zum Stammvater der serbischen Königsdynastie der Nemanjiden machen. Deren historisch belegter Gründer, König Stefan Nemanja, hat vor Kurzem eine pompöse Statue vor dem ehemaliger Hauptbahnhof von Beograd erhalten – mit sehr deutlicher christlich-nationalistischer Symbolik. (Mehr siehe hier.)

Die These des serbischen Jesus scheint sich seitdem in verschiedene Strömungen aufgespaltet zu haben. Die Beweisführungen der einzelnen Richtungen unterscheiden sich im Detail erheblich.
Eine der Strömungen argumentiert etwa, Maria sei in Wahrheit ein serbischer Name. Aramäisch, die antike Umgangssprache im Nahen Osten, sei in Wahrheit mit dem Serbischen identisch.
Dass das eine eine semitische Sprache ist und das andere ein Idiom einer indoeuropäischen Sprache – wahrscheinlich Falschinformationen, in die Welt gesetzt von Historikern und Linguisten, die sich zusammengetan haben, um das Serbentum als solches zu zerstören.
Gegen diese antiserbische Verschwörung ziehen die Helden der Wahrheit und Gerechtigkeit ins Feld, die die wahren Quellen kennen wie sonst niemand auf der Welt. Letzterer Halbsatz ist durchaus wörtlich zu nehmen.
Slobodan Filipović ist nach Eigenbeschreibung Ethnologe. Er propagiert, dass ein verfolgter und vergessener serbischer Kalender der älteste der Welt sei. Aufmerksamen Lesern von Balkan Stories ist diese Geschichte von Milan T. Stevančević schon länger bekannt. Siehe hier.
Was das alles mit Alexander dem Großen, Cleopatra und Tibet zu tun hat
Filipović stützt die These, dass die Nemanjiden von Jesus abstammen würden – und in Wahrheit auch direkt von Adam, was für den christlich-religiösen Menschen freilich kein Alleinstellungsmerkmal wäre.
Wie viele mittelalterliche Königsdynastien legitimierte dieses Geschlecht seinen Herrschaftsanspruch mit diversen noblen Abstammungen. Als Ahnherren nahmen sie offenbar gelegentlich auch die römischen Kaiser Augustus und Konstantin in Anspruch.
Irgendwie hat das auch mit Außerirdischen zu tun, was einen an die „Pyramiden“ von Visoko denken lässt.
Fazit: Filipović beweist einwandfrei, dass Jesus Serbe war, und deckt eigenhändig die antiserbische Verschwörung seit Anbeginn der Zeit auf.
Auf komplizierten Pfaden bringt in einer Diskussion auf Happy TV der Journalist Dragan Jovanović Alexander der Große und Cleopatra ins Spiel – die verheiratet gewesen seien. Um das zu vertuschen, seien 297 Jahre Geschichte erfunden worden.
Und wenn schon 297 Jahre Geschichte erfunden worden seien, konnte man gleich die serbische Herkunft Jesu verschleiern, die für Jovanović stichhaltig erwiesen ist. „Mich interessiert überhaupt nicht, ob irgendjemand außer Serben denkt, dass Jesus ein Serbe ist, das ist er.“
Wenn das kein Beweis ist…
Dazwischen Geschichten über einen Aufenthalt Jesu in Indien, wo er im Alter von 120 Jahren gestorben sei. Die Belege sollen sich in einem tibetischen Kloster namens Hilandar finden.
Ein ehemaliger Priester und Geozentriker als Pol der Vernunft
Auch Dejan Lučić darf seine Experise abgeben. Er ist Autor von Spionageromanen und posiert als Experte für Geopolitik im serbischen Fernsehen.
Wie der Journalist Tomislav Marković in einer ausführlichen Analyse für nomad.ba treffend schreibt, wirkt in dieser Diskussion der Theologe Nikodin Bogosavljević mit seinen Aussagen als Pol der Vernunft, die Bibel sei das Wort Gottes und die unveränderliche Wahrheit, alles andere sei Lug und Trug.
Bogosavljević ist geschasster orthodoxer Priester und beharrt darauf, dass die Erde das unbewegliche Zentrum des Universums sei, um das die Sonne, die Planeten und alles sonst kreisen.
Happy TV widmet der Diskussion, ob Jesus Serbe gewesen sei, immerhin eineinhalb Stunden Sendezeit. Wer es nicht glaubt, kann hier nachsehen.
Etwas beschaulicher geht es der Youtube-Kanal Isus Xristos in seinem Video an.
Er zeigt Ausschnitte aus einer Bibel-TV-Produktion in serbischer Synchronisation. Der Hauptdarsteller sieht aus wie ein junger Jürgen Prochnow, ist es aber offenbar nicht. Prochnow spielte Jesus an der Seite von Demi Moore im US-amerikanischen Kinofilm „the Seventh Sign“ im Jahr 1988.
Immerhin 32.000-mal ist allein dieses Video auf dem Kanal Isus Xristos aufgerufen worden. Online gestellt wurde es 2016.
Aus welcher Produktion die Szenen stammen, konnte nicht geklärt werden.
Es ist auch nicht klar, ob das Video ein ernstgemeinter Versuch ist, die These vom serbischen Jesus zu belegen. Einige der Zuseher zeigen sich in ihren Kommentaren ungeachtet dessen von Jesu Serbentum überzeugt.
Der ernste Hintergrund des Narrensaums
Der Narrensaum hat einen ernsten Hintergrund. Einen politischen Hintergrund, um genau zu formulieren.
Die These vom kroatischen Jesus und die These vom serbischen Jesus sollen nicht nur jeweils einem der beiden Völker einen besonders sakralen Ursprung verleihen – was an sich im klerikalnationalistischen Diskurs seit dem Ende Jugoslawiens und der kapitalistischen Restauration bedeutend ist.
Vor allem sollen sie beide Völker älter machen als sie es nach wissenschaftlicher Erkenntnis sind.
Beide Thesen bedienen das Narrativ „Wir waren zuerst da“. Aus dem vermeintlich hohen Alter der Völker lassen sich Gebietsansprüche ableiten. Eine klassische nationalistische Argumentation.
So behaupten mazedonische Nationalisten, sie würden von den antiken Mazedoniern von Alexander dem Großen abstammen.
Albanische Nationalisten setzen auf ähnliche Sprachspiele, wie es in diesem Beispiel serbische Nationalisten tun. Das Etruskische wird zu einem Dialekt des albanischen Idioms Toskisch erklärt.
Das entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft, über den diese Seite einen konzisen Überblick gibt.
Andere erklären das Albanische zur ältesten Sprache Europas. Auch das widerspricht dem Stand der Wissenschaft.
Es würde nicht überraschen, wenn albanisch-nationalistische Querdenker auch die These eines albanischen Jesus propagieren würden. Das konnte Balkan Stories mangels rudimentärer Albanisch-Kenntnisse nicht überprüfen.
Andererseits würde ein albanischer Jesus mit seiner 2000-jährigen Geschichte mickrig wirken im Vergleich zur 8.000-jährigen Kontinuität, die albanische Nationalisten mit ihren Sprachspielchen propagieren.
Der psychischen Gesundheit ist es geschuldet, dass der Ausflug in den Narrensaum hier beendet wird.
Die Wahrheit über Jesus
Beschäftigen wir uns mit der Frage, die der Titel nahegelegt hat. Was ist die Wahrheit über Jesus?
Jesus war nach Stand der historischen Wissenschaft ein jüdischer Wanderprediger, der um die Zeitenwende das nahende Ende der Welt propagierte und auf dessen Basis eine radikale religiöse Rückbesinnung der jüdischen Bevölkerung forderte.
Wahrscheinlich kreuzigten ihn römische Besatzer um das Jahr 30 als tatsächlichen oder vermeintlichen Umstürzler.
Einige seiner Anhänger deuteten die Kreuzigung mit Hilfe der Vorstellung einer Wiederauferstehung um und begannen, Jesus als Messias zu verehren, Griechisch Christos, zu Deutsch: der Gesalbte.
Daraus wurde in den nächsten Jahrhunderten der Glaube, Jesus sei der Sohn Gottes gewesen, und die meisten Strömungen der jüdischen Sekte der Jesus-Anhänger spalteten sich vom Judentum ab.
Letztendlich setzte sich die Strömung durch, die wir heute in leicht unterschiedlicher Form in der katholischen und der orthodoxen Kirche sehen.
Wer mehr erfahren will, dem sei als leicht zugängliche Quelle der Blog von Bart Ehrman bzw. sein Youtube-Kanal empfohlen.
Der Historiker Bart Ehrman ist einer der weltweit bekanntesten und anerkanntesten Experten für das Neue Testament und das frühe Christentum.
Eine etwas unterhaltsamere alternative Erklärung der jüdischen und der christlichen Religion findet ihr hier.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Nicht die Meinung der KOSMO Redaktion.
Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.
Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.
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