Erdbeben in Istanbul stellen Urlauber vor ein Dilemma: Reise stornieren oder Risiko eingehen? Die rechtliche Lage ist komplizierter als viele denken.
Nach der Erdbebenserie in Istanbul mit Erschütterungen bis zu einer Stärke von 6,2 stehen Urlauber vor komplizierten Entscheidungen. Obwohl zunächst keine eingestürzten Gebäude oder Schäden an wichtiger Infrastruktur gemeldet wurden, warnen Experten, dass ein schwereres Hauptbeben noch folgen könnte. Für Reisende mit Istanbul-Plänen ergibt sich daraus eine rechtlich schwierige Situation, erklärt Karolina Wojtal vom Europäischen Verbraucherzentrum. Die beunruhigenden Prognosen und Bilder mögen zwar Besorgnis auslösen, doch reines Unbehagen reicht für eine kostenfreie Stornierung nicht aus.
„Für einen Rücktritt benötigt man konkrete Anhaltspunkte – ob Experteneinschätzungen dafür ausreichen, ist fraglich.“ Selbst offizielle Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes seien nicht automatisch ausreichend für ein kostenloses Stornierungsrecht, betont die Fachfrau. Entscheidend bleiben die tatsächlichen Verhältnisse am Reiseziel, nicht das subjektive Sicherheitsempfinden des Reisenden. Dennoch sollte jeder für sich abwägen, ob er sich potenziellen Gefahren aussetzen möchte.
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Optionen für Pauschalreisende
Wer eine Pauschalreise gebucht hat, sollte laut Wojtal das Gespräch mit dem Veranstalter suchen – etwa über Umbuchungsmöglichkeiten oder eine Verschiebung der Reise. Erfahrungsgemäß haben Reiseveranstalter in vergleichbaren Situationen häufig selbst Reisen abgesagt, wodurch Kunden ihre Zahlungen zurückerhielten. Eindeutig wird die Rechtslage erst, wenn Zerstörungen vor Ort den Reiseverlauf erheblich beeinträchtigen oder konkrete Gefahren für Leib und Leben bestehen.
In solchen Fällen können Pauschalurlauber stets kostenfrei zurücktreten – man spricht von außergewöhnlichen Umständen. Ansprüche auf Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreuden bestehen jedoch nicht. Mit Blick auf die aktuelle Situation in Istanbul schätzt die Reiserechtsexpertin: „Sollten erste Verletzte und Gebäudeschäden gemeldet werden und die Erdstöße anhalten, kann man von unvermeidbaren Umständen ausgehen.“ Nach Angaben der Istanbuler Behörden haben sich Menschen bei den bisherigen Beben vorwiegend bei Fluchtversuchen verletzt – etwa durch Sprünge aus Gebäuden in Panik.
Aktuell reagieren einige Reiseveranstalter bereits mit Kulanzangeboten. Der Anbieter Dertour beispielsweise ermöglicht für Istanbul-Reisen bis zum 2. Mai kostenlose Umbuchungen und Stornierungen. Massenhafte Stornierungen für Istanbul wurden bislang allerdings nicht registriert. Die Veranstalter betonen zudem, dass in den klassischen türkischen Feriengebieten derzeit keine Gefahrenlage besteht.
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Lage für Individualreisende
„Wenn der Flug stattfindet, besteht die Beförderungspflicht“, erläutert Wojtal. Wer ohne flexible Umbuchungsoption gebucht hat und den Flug nicht antreten möchte, verliert den Ticketpreis. Ein kleiner Trost: Steuern und Gebühren werden in jedem Fall zurückerstattet. Ähnliches gilt für Hotelbuchungen – solange der Betrieb aufrechterhalten wird, fallen bei Stornierung die üblichen Gebühren an, sofern der Hotelbetreiber nicht kulant reagiert.
Pauschalreisende werden in der Regel vom Veranstalter über die aktuelle Lage informiert. Große Anbieter verfügen über spezialisierte Krisenteams. Die Reiseveranstalter beobachten ihre Zielgebiete kontinuierlich, um bei Bedarf schnell handeln zu können, wie eine Sprecherin des Deutschen Reiseverbandes mitteilt.
Muss ein Aufenthalt vorzeitig abgebrochen werden, organisieren die Veranstalter den Transfer zum Flughafen und die Rückreise. Bei unbewohnbar gewordenen Unterkünften bemühen sie sich um sichere Alternativen. Individualreisende hingegen müssen sich in solchen Situationen selbst um Lösungen kümmern.
Für die Entscheidungsfindung kann die Einschätzung von Experten hilfreich sein. Seismologen des Helmholtz-Zentrums für Geoforschung betonen, dass durch die jüngsten Beben die Spannungen in der Region zugenommen haben. Eine vollständige Entwarnung geben sie nicht – weitere Nachbeben oder sogar ein größeres Hauptbeben bleiben in nächster Zeit möglich.
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