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REPORTAGE

Beichte einer unglücklichen Mutter

(Foto: iStock/kieferpix)

 „Alle glücklichen Familien gleichen einander, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich“, schrieb der große Lev Tolstoj. Unsere Gesprächspartnerin denkt, dass ihre Familie die unglücklichste der Welt ist, und, was am schwersten wiegt, sie sieht keinen Ausweg aus ihrem schrecklichen Problem.

Die vom Leben gequälte junge Frau, nennen wir sie Mirela (der wahre Name ist der Redaktion bekannt) hat erst zugestimmt, mit dem Magazin KOSMO über ihre Situation zu sprechen, als wir ihr versprachen, dass weder ihr Foto noch ihre persönlichen Daten im Bericht veröffentlicht würden. Das Argument, dass sie mit ihrer Geschichte nicht alleine ist, konnte ihre Entscheidung nicht verändern. Wir haben sie verstanden, denn ihr größtes Problem ist ihr Sohn, der geliebte Erstgeborene, der mit nicht einmal sechzehn Jahren im Gefängnis sitzt. Ihr Lule, wie wir ihn in der Geschichte nennen wollen, ist schon früh vom rechten Weg abgekommen und will sich leider auch nicht helfen lassen. Aber beginnen wir am Anfang…

Mirela heiratete gleich nach Abschluss der Mittelschule und glaubte, dass der Ehering ihre Eintrittskarte ins Paradies sein würde. Ihr Mann, der ein Jahr älter war als sie, war sehr ehrgeizig und seine Karriere war ihm sehr wichtig. Er erwartete, dass seine Frau ihn unterstützen und sich nicht für ein Leben außerhalb des Hauses interessieren würde.

„Am Anfang passte mir das, ich dachte, er will mich vor dem Stress bewahren, den arbeitende Frauen meistens haben. Ich war glücklich, für ihn zu sorgen. Ich habe täglich seine Lieblingsspeisen gekocht, sorgfältig seine Hemden gebügelt und jeden Morgen eine passende Krawatte bereitgelegt. Als ich erfuhr, dass aus unserer Liebe ein neues Leben entstehen würde, kannte mein Glück keine Grenzen. Aber als ich meinem Mann von der Schwangerschaft erzählte, sah ich kein bisschen Freude in seinem Gesicht. Ich dachte, er sei nur verwirrt und würde bald ebenso von unserem Baby träumen wie ich, wir würden gemeinsam Kleidung und andere Dinge aussuchen und das Kinderzimmer einrichten. Leider aber veränderte sich seine Haltung in den folgenden Monaten kaum und ich, verliebt und blind vor Glück, dachte, das würde alles anders, wenn er unser Baby erst einmal sehen würde“, beginnt die Geschichte, die für die junge Frau ein Märchen hätte werden sollen.

Tägliche Horrorszenen

Das Leben zu dritt brachte keine Bereicherung der jungen Ehe, sondern es wurde zum Horror. Den Gatten störte das Babygeschrei, das Aufwachen und Stillen in der Nacht und auf alles reagierte er gereizt und grob. Er warf Mirela vor, sich nicht mehr um ihn zu kümmern, und fand Fehler in allem, was sie tat. Natürlich machte er dafür seinen kleinen Sohn verantwortlich. Und dann brachte eine Nacht, in der das Baby untröstlich weinte, das Fass zum Überlaufen.

 „Ich versuchte, Lule zu beruhigen. Ich legte ihm warme Umschläge um den Bauch, massierte ihn und trug ihn durchs Wohnzimmer. Gerade als ich dachte, er würde wieder einschlafen, kam mein Mann wie eine Furie aus dem Schlafzimmer gestürmt und begann, unkontrolliert herumzuschreien, nahm mich an den Schultern und schüttelte mich. Herrschaftszeiten, er müsse schlafen, sei müde, müsse arbeiten, um uns zu versorgen, während ich nur das Baby herumschaukelte, das er nicht gewollt habe. Ich bat ihn aufzuhören, denn das Baby begann erneut zu weinen, da riss er mir unseren Sohn aus den Armen, legte ihn auf die Couch und schlug mir zweimal mit voller Kraft ins Gesicht. Meine Nase blutete, ich war außer mir vor Angst und mein Mann befahl mir, mich zu waschen, das Kind in sein Zimmer zu bringen und schreien zu lassen und sofort zu ihm ins Bett zu kommen. In dieser Nacht vergewaltigte er mich und tötete damit in mir alles Schöne, was ich für ihn empfunden hatte“, so endete der erste Akt des Dramas, in dem Mirela noch heute lebt.

Am folgenden Tag brachte Alen (Name geändert) seiner Frau als Entschuldigung Blumen mit. Er beteuerte, sie unendlich zu lieben, sich vernachlässigt zu fühlen und darunter zu leiden, dass sie nicht mehr attraktiv, sondern dick und ungepflegt sei. Er forderte, das Kind müsse ab jetzt abends in seinem Zimmer bleiben und die Mama habe beim Papa zu sitzen. Und so ging es jahrelang…

„Nach den ersten Schlägen erhob er immer häufiger die Hand gegen mich, entschuldigte sich dann wieder und immer so fort. Ich verzieh ihm, weil ich dachte, dass das Kind in einer kompletten Familie aufwachsen müsse. Mir war nicht bewusst, dass ich unserem Sohn damit irreparablen Schaden zufügte. Lule erlebte die brutalen Szenen, hörte das Gebrüll seines Vaters und fürchtete sich, wenn dieser sich ihm näherte, denn man wusste nie, ob er ihn streicheln oder grob von sich stoßen würde. Ich achtete nicht genügend auf die Warnsignale bei meinem Sohn: In der Wohnung zerschlug und zerstörte er alles, schlug und biss andere Kinder, nahm ihnen Spielzeuge weg, im Kindergarten war er unleidig und die Kindergärtnerinnen beschwerten sich ständig über ihn.

Nur in meinen Armen war er ruhig und sanft, daher dachte ich, diese Anfälle seien eine vorübergehende Entwicklungsphase. Er war fünf Jahre alt, als ich noch ein Mädchen bekam, und ich war wirklich davon überzeugt, dass das eine Wende im Leben unserer Familie bedeuten würde.

Mein Mann behauptete, sich über das zweite Kind zu freuen, obwohl er schon in ihren ersten Lebenswochen zu seinem alten Verhalten aus der Zeit, als Lule ein Baby war, zurückkehrte. Aber ich war nicht mehr dieselbe, im Gegenteil! Meine Gefühle für meinen Mann waren erloschen und ich begriff endlich, dass auch die Kinder in Gefahr waren. Eines Nachts, als er auf mich losging und mich schlagen wollte, weil ich die weinende Ema nicht weglegen wollte, sagte ich ihm, dass ich die Polizei rufen würde, wenn er versuchen würde mich zu schlagen. Er glaubte mir nicht, aber ich machte meine Drohung war“, erzählt Mirela unter Tränen.

Das Ende der Ehe und neue Probleme

Nach der ersten Anzeige wegen Gewalt in der Ehe erhielt Alen ein einmonatiges Annäherungsverbot an die Familie. Als er in die Wohnung zurückkehrte, war deutlich, dass er versuchte, seine Gewalttätigkeit in den Griff zu bekommen, aber die Aggressivität war stärker als er. Wenn er seine Frau nicht schlug, schrie er die Kinder an, vor allem seinen Sohn, der älter war als das kleine Mädchen. Er hielt sich auch nicht zurück, ihn zu schlagen, zu beleidigen und zu erniedrigen. Und Lule begann, dieses Verhalten gegenüber seiner Schwester zu imitieren und die Mutter konnte ihn keinen Moment mit ihr alleine lassen. Sobald sie zu weinen begann, schlug er sie, schrie sie an und drückte ihr einmal sogar ein Polster auf den Mund, was tragisch hätte enden können.

 „Ich bat meinen Mann um eine einvernehmliche Scheidung, aber er lehnte ab und beteuerte, dass er die große Wohnung, in der wir lebten, nicht verlieren wollte. Auf Anraten von Lules Kindergartenpädagogin suchte ich Hilfe beim Jugendamt. Und damit begann sich der Knoten zu lösen. Mithilfe einer Organisation, die misshandelten Frauen hilft, bekam ich einen kostenlosen Rechtsanwalt, der mich im Scheidungsverfahren vertrat. Das war schmerzhaft, aber ich war endlich frei mit meinen Kindern. Dass Sie mich richtig verstehen: Als alleinerziehende Mutter hat man es nicht leicht, aber es ist auf jeden Fall besser als eine Beziehung, in der man täglich Angst vor Gewalt haben muss. Ema war noch klein und verstand fast gar nichts, aber mein Sohn machte es mir immer schwerer. Ich ging mit ihm zum Psychologen, wo festgestellt wurde, dass er überdurchschnittlich intelligent war, dass es aber schwierig werden würde, seine Neigung zur Aggressivität unter Kontrolle zu bringen. Als er langsam ins Schulalter kam, nahm meine Nervosität zu. Später zeigte sich, dass das berechtigt war“, berichtet die noch immer unglückliche Mutter.

Der Bub fügte sich nicht in die Klasse ein und die anderen Kinder begannen ihn zu meiden. Der Lehrerin gelang es nicht, seinen Gehorsam einzufordern. Obwohl er kleiner gewachsen war als seine Klassenkameraden, versuchte er, sich als Anführer aufzuspielen, aber nicht im positiven Sinne. Kaum eine Pause zwischen den Stunden verging, ohne dass er einen Anfall hatte.

Den Klassenkameraden machte er ihre Schulsachen kaputt, und wenn sie sich verteidigten, schlug er zu. Die Mädchen schlug er, und als er einer ein Kaugummi in die langen Haare klebte, lud die Lehrerin die Mutter zum Gespräch.

 „In die Suche nach einer Lösung für das Problem mit meinem Sohn schalteten sich auch der Direktor und der Schulpsychologe ein. Die Lehrerin sagte, dass Lule beim Lernen vorbildlich sei, dass er sehr schlau sei, aber gleichzeitig unerträglich in seinem Verhalten. Sie berichtete, dass die anderen Kinder Angst vor ihm hätten. Ich erzählte ihnen, in welcher Atmosphäre er aufgewachsen war, und daher überwog der Wunsch, meinem Lule eine Chance zu geben. Ich ging weiterhin mit ihm zum Psychologen. Irgendwann in dieser Zeit sagte mir sein Therapeut, dass mein Sohn die Gewalttätigkeit als normales Verhalten angenommen habe, weil er seinen Vater kopierte. Er sei überzeugt, dass man so Liebe ausdrückte und dass der Vater ihn, seine Schwester und die Mama liebte, als er sie schlug und beleidigte. Der Psychologe versuchte, auch meinen Ex-Mann in die Gespräche einzubeziehen, aber der lehnte ab. Dem Jugendamt erklärte er, dass unser Kind auf seine Mutter so wütend sei. Dass er den Unterhalt nie rechtzeitig zahlte, dass er auf alle möglichen Weisen versuchte, mich zu verletzen, das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall konnte ich von ihm keine Hilfe erwarten. Einmal sagte mir der Psychologe, dass es gut wäre, wenn ich meinen neuen Partner, sofern ich einen hätte, in die Familie einführte, damit Lule sehen könnte, dass sich ein erwachsener Mann gegenüber seiner Frau und den Kindern anders verhält als sein Vater. Aber leider hatte ich für eine neue Beziehung weder den Mut noch die Zeit“, vertraut uns unsere Gesprächspartnerin an.

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