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Bosnien-Herzegowina: nach den Wahlen ist vor den Wahlen

Bosnien & Herzegowina Wahlen
(FOTO: Wikimedia Commons)

Bosnien-Herzegowina hat am Sonntag gewählt. Im oft genannten „kompliziertesten Wahlsystem der Welt“ sind noch viele Fragen zur Regierungsbildung offen, einen grundlegenden Machtwechsel im ethnisch geteilten Land wird es aber auch diesmal nicht geben.

Seit dem Daytoner Friedensabkommen wird in Bosnien-Herzegowina sehr oft gewählt, alle zwei Jahre müssen die Bewohner:innen des Balkanlandes zu den Urnen, um einerseits die staatliche, Entitäts- und Kantonsebene und andererseits die Gemeinderäte zu wählen. Am 2. Oktober wurden die Allgemeinen Wahlen abgehalten, an denen u. a. das dreiköpfige Staatspräsidium, das Parlament der Entität Föderation BiH sowie Kantonsparlamente in der Förderation BiH gewählt wurden. Gewählt wurde auch in der anderen bosnisch-herzegowinischen Entität, der Republika Srpska. Dort haben Bürger:innen für das Amt des Präsidenten und das Parlament gestimmt.

Aufgrund der ersten offiziellen Ergebnisse zeichnet sich eine Niederlage für die ethnonationalistischen Parteien in der Föderation BiH ab, wenn es um die Mitglieder des dreiköpfigen Staatspräsidiums geht. Der Bosniake Denis Becirovic (Sozialdemokraten) und der Kroate Zeljko Komsic (Demokratische Front) ziehen ins höchste Amt des Staates. Der bosniakische ethnonationalistische Leader Bakir Izetbegović hat bereits gestern Abend die Wahlniederlage eingeräumt. Auch die kroatische Ethnonationalistin Borjana Kristo von der HDZ kann auf keine Funktion im Staatspräsidium hoffen.

Obwohl die HDZ und ihre nationalistischen Satellitenparteien die Wahl von Zeljko Komsic zum kroatischen Präsidiumsmitglied seit Jahren als „nicht legitim“ bezeichnen, wird es im komplizierten System Bosnien-Herzegowinas keinesfalls möglich sein, die Regierung in der Föderation BiH und auf der staatlichen Ebene ohne die HDZ zu bilden. Der Schlüssel sind die sogenannten Völkerkammer des staatlichen und föderalen Parlaments: Dort haben ethnisch dominierte Parlamentsklubs das Sagen und konnten bisher jede Gesetzesverabschiedung blockieren. Diese Praxis wird sich auch nach diesen Wahlen fortsetzen, obwohl der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, der deutsche Diplomat Christian Schmidt, gestern Abend in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ Änderungen des Wahlgesetzes in der Föderation BiH verlautbart hat. Damit mag er zwar einige Blockaden in dieser Entität aufgehoben haben, gleichzeitig hat er aber das ethnische Prinzip in der Legislative nur gestärkt. Die Völkerkammer des Parlaments der Förderation BiH wird nach diesem Gesetzesentwurf nämlich wesentlich ausgebaut, d.h. ethnische Parlamentsklubs dort werden mit weiteren Abgeordneten aufgestockt. Die Entscheidung Schmidts gilt als höchst kontroversiell, zumal die Vertretung der Europäischen Kommission unmittelbar danach offiziell mitgeteilt hat, der Hohe Repräsentant habe die Entscheidung quasi im Alleingang getroffen. Der Zeitpunkt und die Art und Weise, wie diese sensiblen Änderungen verabschiedet wurden, wirft einen Schatten auf die demokratische Kapazität der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina.

In der Republika Srpska ist die Situation momentan ebenfalls verwirrend, denn beide Kandidaten, sowohl der für seine pro-russische Politik bekannte Hardliner Milorad Dodik und seine Herausfordererin Jelena Trivic, haben ihren Wahltriumph für das Amt des Präsidenten der Republika Srpska verkündet. Die Zentrale Wahlkommission hat heute bestätigt, dass Milorad Dodik 242.851 Stimmen (48,80 Prozent) und die PDP-Kandidatin Jelena Trivic nur 212.452 Stimmen (42,69 Prozent) erhalten hat. Dies sind die Ergebnisse basierend auf 527.418 verarbeiteten Stimmen.

Wer künftig mit wem in Bosnien-Herzegowina regieren will, bleibt am heutigen Tage noch offen. Während die bosniakische nationalistische SDA zwar das Amt des Präsidiumsmitglieds verloren hat, bleibt es laut vorläufigen Ergebnissen immer noch die stärkste Partei in der Föderation BiH. In den kroatischen Kantonen hat die nationalistische HDZ ihre Macht gefestigt und in der Republika Srpska bleibt Dodiks sezessionistische und pro-russische SNSD weiterhin die stärkste Partei und schickt seine Kandidatin Zeljka Cvijanovic ins Staatspräsidium nach Sarajevo.

Es scheint, dass uns größere Veränderungen auf der Kantonsebene in der Förderation BiH bevorstehen: In Sarajevo wird die antinationalistische Dreierkoalition zwischen der liberalen Nasa stranka, den Sozialdemokraten und der eher konservativen „Narod i pravda“-Partei voraussichtlich gestärkt, interessant werden auch Ergebnisse aus anderen größeren Kantonen der Föderation, Zenica, Tuzla und Bihac.

Aufgrund des äußerst komplizierten Staatsgebildes ist die Regierungsbildung in Bosnien-Herzegowina ein schwieriges Unterfangen. So können sich die Regierung und die Opposition mehrmals wechseln, wenn es um die unterschiedlichen Verwaltungsebenen geht (Staat, Entität, Kantone).

Schon jetzt ist aber klar: Trotz Gewinne für die antinationalistischen Kräfte im Staatspräsidium und in manchen Kantonen werden im staatlichen und dem Parlament der Föderation BiH einerseits und in dem Parlament der Republika Srpska andererseits die Ethnonationalisten weiterhin das Sagen haben.