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REPORTAGE

Corona – Vom Social Distancing zum Mobbing

Trotz des Social Distancing und der Befolgung der erlassenen Regeln haben viele Mobbing am Arbeitsplatz erlebt.

Regeln sind Regeln, und wenn sie nicht eingehalten werden, gibt es Konsequenzen. Egal, wie wir darüber denken. Aber in folgender Story werden die Regeln in der Corona-Zeit eingehalten und trotzdem erleiden Menschen Konsequenzen, nur weil sie anders denken. Eine andere Meinung ist weder ein Vergehen noch ein Verbrechen, aber in den vergangenen Monaten ist der Boden für Diskriminierung immer fruchtbarer geworden.

Das Auftreten von Corona hat in der Zeit, in der Absonderung und Isolation den Schutz des eigenen und fremden Lebens bedeuteten, zu einem Auseinanderrücken und einer Distanzierung in der Gesellschaft geführt. Aber nachdem die größte Gefahr durch das Virus vorüber war und Kontakte wieder möglich geworden waren, teilte eine neue Polarisierung die Menschen in Geimpfte und Ungeimpfte.

Diese neue Teilung wurde durch die Möglichkeit der Immunisierung bedingt, ein Mittel, das als einziger Ausweg aus dem Tunnel gesehen wurde, in den das Corona-Virus die Menschheit geführt hatte. Dementsprechend wurden auch neue Regeln erlassen, die die Aktivitäten der Nichtimmunisierten (der weder Geimpften noch Genesenen) beschränkten.

Auch wenn die Befolgung der erlassenen Regeln nicht in Zweifel stand, entstand zwischen den Menschen mit der Zeit ein zweifelhaftes Klima, in dem statt des Corona-Virus „die anderen” zum größten Feind wurden. So unterlagen die Welt und die Gesellschaft einer neuen Teilung, die nicht auf Rassen, Nationen, ethnischer oder sexueller Zugehörigkeit, sondern ausschließlich auf der Antwort auf die Frage beruhte: Bist du geimpft?

Diese Frage wurde nicht länger nur beim Grenzübertritt und beim Betreten von Nachtclubs, Restaurants und Kaffeehäusern gestellt, sondern auch am Arbeitsplatz. Die Rückkehr ins Büro war an die Einführung der 3G-Regel gekoppelt, die von vielen Gewerkschaften kritisiert wurde. Aber auch sie wurde, wie so viele andere Regeln, die im Kampf gegen Corona eingeführt wurden, fraglos angewendet und respektiert.

Dennoch hat sich die Trennung in Geimpfte, die alles dürfen, und lediglich Getestete, die schrittweise immer weiter eingeschränkt wurden (und im schlimmsten Fall Opfer von Mobbing und Kündigungen waren) durch die Hintertür in die Büros eingeschlichen. Der Impfstatus wurde für einige zum Maßstab für den Wert eines Menschen und in diesem Falle eines Kollegen.

Unsere Gesprächspartnerin Marija (der wahre Name ist der Redaktion bekannt, wurde jedoch in der Veröffentlichung geändert) musste ihre mehrjährige Arbeit in einer Wiener Firma aufgeben, da sie von den Kollegen gemobbt wurde. Der Grund war ihre Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen.

Als das Corona-Virus 2020 in unser Leben trat, verbrachte Marija die ersten Tage der Pandemie im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen in ihrer Arbeit. Sie sagt, dass sie sich vor einer potentiellen Infektion nicht fürchtete und eine der wenigen war, die während des gesamten Lockdowns täglich zur Arbeit gingen. Nach der Rückkehr der Kollegen ins Büro erfuhr Marija anstelle von Dankbarkeit abfällige Kommentare.

Bereits am Anfang haben sie mir gesagt, ich sei sicher die Erste, die Corona in die Firma bringt.

Marija

„Weil ich jung bin, aber auch, weil ich vom Balkan stamme, gehe ich gerne unter Menschen. Daher habe ich schon zu Beginn der Pandemie Kommentare gehört, dass ich sicher die erste sein würde, die Corona in die Firma bringt. Auch wenn sie dabei einen scherzenden Ton anschlugen, sah ich am Gesichtsausdruck der Kollegen, dass in diesen Scherzen viel Ernst steckte. Zu Beginn habe ich das nicht persönlich genommen, denn viele Kollegen hatten Angst und hielten nicht nur zu mir Distanz, sondern auch zu den anderen. Mit der Zeit aber, als der Impfprozess begann, ließ die Angst vor dem Virus unter den Kollegen nach. Die abfälligen Kommentare gegen mich endeten jedoch nicht”, erklärt Marija.

„Jetzt sehen wir, wie dumm du bist!”

Marija berichtet, wie in den ersten Monaten der Impfkampagne unter den Beschäftigten von der Firmenleitung Flugblätter verteilt und SMS-Nachrichten geschickt wurden, in denen erläutert wurde, warum man sich impfen lassen sollte.

„In dieser Zeit haben wir auch häufig darüber geredet, warum die Impfung für uns, aber auch für unsere Umgebung gut ist. Extremen Druck spürte ich jedoch im September vergangenen Jahres, als es nur noch fünf Ungeimpfte in der Firma gab. Zusätzlich wurde die Situation dadurch erschwert, dass wir ausländischer Herkunft waren. Damals hörten wir fast täglich Kommentare, dass nur wir Ausländer uns widersetzen würden und dass wir das alles aus reinem Trotz täten und nicht über die Folgen nachdächten. Da ich in meinem Job sehr schnell aufgestiegen und Abteilungsleiterin geworden war, hörte ich auch Bemerkungen wie: ’Wir haben dich für intelligent gehalten, wir haben geglaubt, du würdest es noch weiter bringen, aber jetzt sehen wir, wie dumm du bist und dass du dein Gehirn nicht zu nutzen weißt. Wozu hast du es überhaupt?’ Nicht selten wurde auch gelästert, dass mein Gehirn ausschließlich zum Schminken diene und dass ich, würde ich auf Corona und die ganze Situation ebenso viel Aufmerksamkeit verwenden wie auf mein Aussehen, sicher schon längst geimpft wäre.”

Marias Kollegen nutzten jede Gelegenheit, sie verbal anzugreifen und zu beleidigen, obwohl sie ihnen mehrfach sagte, sie wolle darüber nicht sprechen. (FOTO: KOSMO)

Obwohl sie täglich Beleidigungen ausgesetzt war, bemühte sich Marija, ruhig zu bleiben und den Kollegen ihre Entscheidung zu erklären. „Egal, welche Argumente ich vorbrachte, erhielt ich immer nur die Antwort, ich sei dumm. Sie wollten mir nicht zuhören und keines meiner Argumente akzeptieren. Einmal sagte ich ihnen, dass ich über dieses Thema nicht mehr sprechen wollte, aber auch dass wollten sie nicht akzeptieren. Sie nutzten jede Gelegenheit, mich anzugreifen. Es kam vor, wenn ich in die Arbeit kam, dass ich statt eines ’Guten Morgen’ nur die Frage hörte: ’Wann lässt du dich endlich impfen?’. Ich bemühte mich, mich davon nicht verletzen zu lassen und mich auf keine Diskussionen einzulassen. Das fiel mir schwer, aber irgendwie ging es doch und war so lange erträglich, bis wir nur noch wenige Ungeimpfte waren. Dann wurde der Druck unglaublich hoch. Ich fühlte mich wie in einem Gefängnis. Jeden Morgen musste ich aufstehen und in die Arbeit gehen, wo ich, statt wie vor Corona normal zu arbeiten, jeden Tag Predigten über die Impfung und meine persönliche Entscheidung hörte. Das führte dazu, dass ich mich fast jeden Tag auf der Toilette versteckte und weinte. Am Morgen beim Aufstehen konnte ich kaum atmen, war nervös und konnte schließlich gar nicht mehr rechtzeitig zu Schichtbeginn aufwachen. Ich konnte einfach nicht mehr aus dem Bett aufstehen, denn ich wusste, was mich erwartete.“

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