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REPORTAGE

Corona – Vom Social Distancing zum Mobbing

„Du hast kein Bett auf der Intensivstation verdient!“

Neben verbalen Provokationen begannen Marijas Kollegen auch mit ihrer Körpersprache klar auszudrücken, dass sie aufgrund ihrer Entscheidung nicht mehr willkommen war.

„Ich bemerkte, dass einzelne Kollegen nicht mehr auf den Balkon kamen, wenn ich draußen stand. Manchmal fanden unsere geschäftlichen Besprechungen meinetwegen, weil ich nicht geimpft war, nur noch online statt, während sich andere Abteilungen persönlich trafen.”

Die Diskussionen über die Corona-Impfung und die persönliche Entscheidung einzelner Mitarbeiter, sich impfen zu lassen, gingen bisweilen sehr weit.

„Sie sagten mir, wenn ich erkranken sollte, hätte ich kein Bett auf der Intensivstation verdient, ich hätte verdient zu sterben, ich sei eine mutwillige Mörderin, denn mir sei bewusst, dass ich andere Menschen töten könnte, dass ich aber nichts dagegen unternähme. Obwohl damals am Arbeitsplatz die 3G-Regel galt und ich mich täglich testen ließ, wurde ich von allem ausgeschlossen, weil ich ungeimpft war. Irgendwann wurde sogar die Regel eingeführt, Masken in zwei verschiedenen Farben zu tragen. Die Geimpften sollten eine blaue Maske tragen und die Ungeimpften eine rosa Maske. Ich wehrte mich dagegen, denn diese Art der Markierung wirkte wie die schlimmste Art von Trennung. Daraufhin erklärte man mir, dass es darum ging, dass die Kunden, wenn sie unsere Räumlichkeiten betreten, sofort sehen könnten, welche Angestellten geimpft sind und welche nicht.”

Marija: „Irgendwann wurde sogar die Regel eingeführt, Masken in zwei verschiedenen Farben zu tragen. Die Geimpften sollten eine blaue und die Ungeimpften eine rosa Maske tragen.” (FOTO: iStock)

Da sie auch von den Vorgesetzten keinerlei Schutz erhielt, entschied sich Marija, ihre Stelle wegen der Behandlung, der sie durch ihre Kollegen, mit denen sie vor der Pandemie ein hervorragendes Verhältnis hatte, zu kündigen.

„Als ich mich bei meinem Vorgesetzten über den Druck der Kollegen, dem ich ausgesetzt war, beschwerte, sagte er mir, ich sollte mich impfen lassen und mein Problem sei gelöst. Darum habe ich einfach aufgegeben. Obwohl ich meine Arbeit über alles geliebt habe und dachte, dass ich in dieser Firma noch in Pension gehen würde, entschied ich mich, zu kündigen, um meine Psyche zu retten und meine Ruhe wiederzufinden.”

Das Schweigen der Arbeitgeber

Anders als Marija, die den Beleidigungen und den Anfeindungen ihrer Kollegen direkt ausgesetzt war, erlebte Sandra (der wahre Name ist der Redaktion bekannt) eine ganz andere Art der Behandlung – eine unbegründete Kündigung.
Die alleinerziehende Mutter zweier Töchter hatte während der Pandemie zwei Jobs, um die Familie zu erhalten. Ihr erster Arbeitsplatz war in einer Impfstation, in der sie im März 2021 zu arbeiten begann.

„Ich hatte dort eine befristete administrative Stelle, d.h. ich saß an einem Anmeldeschalter. Ich war mit meinem Arbeitsplatz, den Kollegen und den Arbeitsbedingungen zufrieden. Alles war immer in Ordnung und ich hatte keinerlei Probleme. Die Chefs waren mit meiner Arbeit zufrieden und verlängerten meinen Vertrag immer wieder um drei Monate. Aber auf einmal begannen die Vorgesetzten, fast täglich zu uns Mitarbeitern zu kommen und uns zu fragen, ob wir uns impfen lassen wollten; dann hätten sie uns einen Termin ohne Wartezeit gegeben. Meine Antwort war damals, dass ich es noch nicht wollte, da ich Angst hätte, denn ich habe Probleme mit der Schilddrüse und bin deswegen sehr vorsichtig, wenn ich irgendeine Art von Therapie oder Medikamenten einnehmen soll. Ich weiß nie, wie mein Körper darauf reagiert, und habe darum beschlossen zu warten, bis ich sicher bin, dass die Impfung für mich unbedenklich ist. Doch dann begannen sich die Impfregeln ständig über Nacht zu ändern. AstraZeneca wurde aus dem Verkehr gezogen, dann wieder eingeführt, Moderna war für junge Menschen unter 30 Jahren nicht mehr sicher etc. All das verstärkte meine Unsicherheit und Angst und ich verzichtete auf die Impfung, denn mein Organismus ist im Moment stabil und das wollte ich nicht gefährden. Als dann die Impfung auch ohne Terminreservierung möglich wurde, kamen die Chefs weiterhin zu uns, aber nicht nicht mehr mit der Frage, ob wir uns impfen lassen wollten, sondern ob wir das bereits getan hätten. Zu dieser Zeit hatten wir regelmäßige Teamsitzungen, denn die Impfregeln änderten sich schnell und wir mussten alle auf dem Laufenden bleiben. Ende Dezember bat mich die Chefin, nach einer solchen Sitzung noch zu bleiben. Sie fragte mich, ob ich geimpft sei. Auf meine negative Antwort hin sagte sie: ’Ich glaube, dass heute der richtige Tag dafür ist.’ Ihre Aussage schockierte mich und ich antwortete, dass das nicht so sei. Daraufhin erklärte sie mir, warum ich mich impfen lassen sollte, und auf meinen Einwand hin, dass ich gesundheitliche Probleme hätte, sagte sie nur, die hätte sie auch und das sei kein Grund.”

Ich sagte meiner Chefin, dass ich Schilddrüsenprobleme habe, doch sie wollte das nicht als Grund annehmen.

Sandra

Nach diesem Gespräch wurde Sandra Ende Dezember per E-Mail mitgeteilt, dass ihr Arbeitsvertrag nicht weiter verlängert wurde. „Ich habe mich dagegen nicht gewehrt, denn es war ohnehin nur eine befristete Anstellung. Außerdem hatten auch die Kollegen begonnen mich zu fragen, warum ich nicht geimpft sei. Mir war nicht klar, warum ich mich rechtfertigen oder meine gesundheitliche Entscheidung begründen sollte. Wenn ich niemanden dazu dränge, mir zu erklären, warum er sich impfen lässt, verstehe ich nicht, warum ich das machen muss.”

Die Situation war für Sandra noch relativ erträglich, denn sie arbeitete neben der Impfstation auch in einer Schulküche.

„Im September 2021 habe ich angefangen, auch in der Schule zu arbeiten. Beim Bewerbungsgespräch hatten sie uns gesagt, dass die Impfung nicht Voraussetzung sei. Als die 3G-Regel am Arbeitsplatz eingeführt wurde, waren noch zwei andere Kolleginnen nicht geimpft und wir mussten uns jeden Tag testen lassen. Das haben wir auch getan und das war nie ein Problem für uns. Aber auch hier begann meine Chefin, ebenso wie die in der Impfstation, regelmäßig zu den Mitarbeitern zu kommen und nach ihrem Impfstatus zu fragen. Sie hatte eine Liste dabei, in die sie eintrug, wer die erste, die zweite oder die dritte Dosis erhalten hatte. Inzwischen war ich an Corona erkrankt und hatte den Grünen Pass erhalten. Eines Morgens, als ich das Essen für die Schüler zubereitet hatte und vor der Schulpause mein Frühstück aß, kam die Chefin ganz erregt und wütend in die Küche und ermahnte mich, eine Maske zu tragen, obwohl ich in diesem Moment gerade frühstückte. Ich sagte ihr, dass ich die Maske wieder aufsetzen würde, wenn ich mit dem Frühstück fertig sei, woraufhin sie mich fragte, ob ich geimpft sei. Das war an einem Dienstag. Am Freitag erhielt ich einen eingeschriebenen Brief von meinem Arbeitgeber, in dem stand, dass ich gekündigt sei. Obwohl ich alle Regeln widerspruchslos befolgt und meine Arbeit gewissenhaft und fleißig erledigt hatte, entließen sie mich auch dieses Mal ohne Begründung. Ich bat die Chefin, mir den Grund zu nennen, aber sie sagte nur, ich sollte mich an den obersten Chef wenden. Er würde mich in der folgenden Woche anrufen und ihn mir mitteilen, aber das ist nie passiert. Von meinen Chefs habe ich nie wieder auch nur ein Wort gehört, geschweige denn eine Antwort auf meine Frage erhalten. Die Schuldirektorin entschuldigte sich bei mir, weil ich gekündigt worden war, denn ich hatte sehr gut gearbeitet und mich gut ins Team eingefügt, aber die Schule hatte leider keinen Einfluss auf meine Anstellung.”

Sandra: „Obwohl ich mich an alle Regeln halte, hat mich mei Arbeitgeber mit meinem Impfstatus erpresst.” (FOTO: iStock)

Wenn die Chefs schweigen und keinen Grund für die Kündigung eines Mitarbeiters nennen können, dann herrscht eine drückende Stille, die den bitteren Geschmack von Ungerechtigkeit und Machtlosigkeit hinterlässt.

Dem österreichischen Gesetz zufolge kann ein Arbeitgeber Mitarbeiter ohne Angabe von Gründen kündigen. Diese Klausel diente 2021 vielen Arbeitgebern als Deckmäntelchen, um den Schweiß auf ihrer Stirn zu verbergen und ihre Hände in Unschuld zu waschen.

Sandra: „Als ich mein Frühstück aß, kam die Chefin wütend zu mir, weil ich keine Maske trug und ungeimpft bin. Ein paar Tage später wurde ich gekündigt.” (FOTO: iStock)

„Seit Beginn der Corona-Zeit bin ich sehr enttäuscht. Ich hatte geglaubt, ich lebe in einem demokratischen Staat, in dem ich selbst über meine Gesundheit und die Gesundheit meiner Kinder entscheiden kann. Aber es hat sich herausgestellt, dass das nicht so ist. Obwohl ich keine Impfgegnerin bin und alle epidemiologischen Regeln befolge, habe ich erlebt, dass ich aufgrund einer Entscheidung, die tatsächlich nur mich selbst betrifft, diskriminiert und erpresst wurde, um überhaupt arbeiten zu dürfen”, beendet Sandra ihre Geschichte.