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INTERVIEW

Jelena Micić: „Kunst ist eine Selbstinitiative!“

Jelena Micic
FOTO: Jovana Vasilic

Jelena Micić ist Künstlerin, diplomierte Philosophin, Philologin skandinavischer Sprachen und die Gewinnerin eines prestigeträchtigen Preises des Radionetzwerks Ö1. Sie wurde 1986 in der serbischen Stadt Knjaževac geboren und ist eine der Mitbegründerinnen der Künstlergruppe „UMETNIK*“. KOSMO traf das interessante Allroundtalent zum Interview…

KOSMO: Jelena, du bist nicht nur Künstlerin, sondern auch Diplomphilosophin und Philologin für skandinavische Sprachen. Woher stammt deine Liebe zur Kunst und was ist das Bindeglied zwischen diesen Bereichen? Denn das ist schon, das müssen wir zugeben, eine ungewöhnliche Verbindung.
Jelena: Ich glaube, dass zuerst die Liebe zur visuellen Kunst da war, danach kam erst das Studium. Die gesamte Erfahrung, die ich in den vorherigen Studiengängen erworben hatte, habe ich zu praktischen Zwecken eingesetzt. Jetzt geht es nicht mehr einfach um die theoretischen Kenntnisse und das Studium bestimmter Theorien und Phänomene, sondern ich versuche, meine Gedanken durch meine Studien visuell auszudrücken und in meine Arbeiten einzubringen. Sehr oft werde ich gefragt, was textuelle Bildhauerei ist und was die Bezeichnung der Klasse, in der ich studiere, bedeutet. Da geht es um das Studium des Kontextes des Ausstellungsraums. Der Begriff des Textes im Namen der Klasse steht auch mit Sprache in Beziehung. Meine Masterarbeit in der Philosophie beschäftigte sich mit Kunsttheorie und ich interessiere mich auch für Sprachphilosophie. Man kann also sagen, dass ich mich an der Kunstakademie in Wien eingeschrieben habe, weil ich gesehen habe, welche Möglichkeiten die Kunst bietet. Auf der anderen Seite war es zuerst unangenehm, mich mit Kunst zu beschäftigen, weil ich aus einer ganz anderen Richtung komme. Die meisten Studenten, die hier studieren, sind oder waren bereits auf einem Kunstgymnasium oder haben Kunststudien abgeschlossen. Ich habe mich immer auf der theoretischen Seite mit Kunst beschäftigt, alles war strikt, es gab eine Hintergrundgeschichte, die man visuell darstellen musste. Das ändert sich jetzt allmählich.

Wie drückst du dich heute künstlerisch am liebsten aus, woran arbeitest du gerade?
Im Moment bin ich in einer formalistischen Phase und mache eine Serie von Acrylbildern kleineren Formats mit dem Titel „Farbproben“. Die Erforschung der Farben hat mich immer interessiert, sei es vom politischen oder vom soziologischen Aspekt her. Jetzt ist die Farbe selber mein Forschungsobjekt geworden. Ich habe etwas Interessantes entdeckt, und das ist, dass die Farbnuance, die wir Zyklame nennen und die irgendwo zwischen Rosa und Violett liegt, für die künstlerische Produktion, d.h. für die Malerei, sehr ungünstig ist. Es ist viel leichter, die gewünschte Intensität zu bekommen, wenn man sie mit einer anderen Farbe gemeinsam verwendet, die ihre Wirkung verändert. Aber was ist, wenn sie alleine ist? Wie stellt man sie alleine dar, ohne Bezug zu irgendetwas Anderem? So habe ich begonnen, eine Reihe von Farbexperimenten bzw. Proben zu machen. Diese Beschränkung auf eine einzige Nuance ist ein bisschen minimalistisch. Heute haben wir so viele Möglichkeiten, wir können zwischen den Nuancen wählen, wir haben immer mehrere Optionen. Meine Arbeit beschränkt sich auf die geringst mögliche Anzahl von Elementen, mithilfe derer ich erreichen kann, was ich möchte. Außerdem habe ich immer mit Materialien gearbeitet, die Menschen wegwerfen und die im Alltagsleben unbemerkt bleiben, z.B. Obst- oder Gemüsenetze. Einmal waren das Kartonverpackungen auf den Märkten, aus denen ich Installationen gemacht habe. Danach haben mir Freunde gesagt, dass sie die Netze niemals bemerkt oder gesehen haben, obwohl sie täglich auf den Markt gehen. Diese minimalen Dinge, die Menschen wegwerfen und die im Alltagsleben unsichtbar, aber immer präsent sind, sind für mich sehr interessant. Ich möchte sie ins Blickfeld rücken, möchte zeigen, welche Geschichte sie erzählen könnten.

Kannst du uns etwas über die Künstlergruppe UMETNIK* erzählen, die du mitgegründet hast?
Der Name der Gruppe ist in Anlehnung an die Kosovo-Fußnote (UMETNIK mit Sternchen) entstanden, wo wir auch den Text in der Fußnote der Resolution angepasst haben. Žarko Aleksić und ich haben die Gruppe in Knjaževac/Belgrad gegründet. Wir haben uns mit theoretischen und praktischen Betrachtungen der Begriffe Künstler und Kunst beschäftigt und unsere Performances zwischen 2012 und 2013/14 bezogen sich auf die serbische Kunstszene. Wir hatten zum Beispiel eine Galerie von Leuten, wo wir Autoren auf den Platz der Republik in Belgrad eingeladen haben, um ihre Arbeiten persönlich und physisch vorzustellen. Der Besucher war auf diese Weise mit den Vortragenden konfrontiert, d.h. mit „lebenden Mauern“, mit denen er direkt kommunizieren und seine Ideen austauschen konnte. Das nächste große Projekt ist ein Buch, in dem dreizehn Kunsthistoriker, Theoretiker und Kuratoren aufgrund ihrer eigenen Interessen und Erfahrungen über unsere Arbeiten schreiben. Es ist anlässlich des fünften Jahrestages des Bestehens der Gruppe entstanden und besteht aus Texten in den Originalsprachen, Übersetzungen ins Serbische und Englische und Dokumentationen unserer Arbeiten. Das Buch „UMETNIK*: Fusnote 2012-2017“ ist derzeit im Druck und wir erwarten, dass es gegen Ende Oktober in den Handel kommt.

Du hattest viele Ausstellungen, unter anderem in Wien, Graz und Belgrad. Welche davon war für dich etwas Besonderes und warum?
Für mich sind Gruppen- und Einzelausstellungen gleich wichtig. Die Ausstellung, die die Besucher für meine Arbeit besonderes charakteristisch fanden, fand 2016 im Dom omladine in Belgrad statt. Sie hieß ANEKUMENA. Später erhielt diese Arbeit den Titel Bojna polja („Farbfelder/Schlachtfelder“). Interessant ist, dass die Besucher alleine durch das Arrangement gezwungen waren, zu interagieren, indem sie während der Eröffnung die ganze Zeit mit mir sprachen. Die Galerie ist ca. 90 Quadratmeter groß und im Raum waren 5 riesige Netze aufgehängt, die die Wände eines Labyrinths darstellten. Ich erinnere mich gerne an zwei Damen, die mir lachend erzählten, dass sie es faszinierend fanden, sich „durch die Wand“ unterhalten zu können, und dass ich Wände gemacht hätte, die verbinden statt zu trennen.

Radio Ö1 vergibt bereits seit neun Jahren Stipendien in Form eines Geldpreises an Studenten oder Studentinnen, die ausgewählt werden, um die vier Kunstakademien Österreichs zu repräsentieren. Du wurdest in diesem Jahr ausgewählt, die Akademie der bildenden Künste in Wien vorzustellen. Was würde es dir bedeuten, wenn du diesen Geldpreis gewinnen würdest, und würde es etwas in deinem Leben als Künstlerin verändern?
Dieser Preis wäre vor allem eine Unterstützung für meine Arbeit und auch eine wichtige finanzielle Unterstützung. Er würde mir sehr helfen, denn ich habe mein Studium noch nicht abgeschlossen und stehe erst am Anfang meiner professionellen Arbeit als Künstlerin. Ich hoffe, dass mir der Gewinn dieses Preises die Möglichkeit eröffnen würde, dass ich meine Ausstellungen nicht mehr alleine oder mithilfe meiner Freunde organisieren müsste und dass meine Arbeiten ein breiteres Publikum erreichen würden. Es freut mich, dass so viele Menschen an der online-Abstimmung teilgenommen haben, und ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei ihnen bedanken. Die Verkündung des Ergebnisses findet am 25. September statt.

Hast du einen Rat für zukünftige professionelle Künstler, d.h. Kollegen, jetzt da du auf dem Erfolgsweg bist?
Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass man, wenn man etwas will, das unabhängig von den Umständen tun sollte. Einsatz, Hingabe und ein professionelles Herangehen sind Pflicht. Es ist schwer, ohne unmittelbar sichtbare Resultate zu arbeiten, denn heutzutage haben wir wenig Zeit, sondern wollen alles jetzt und sofort. Hier braucht es Geduld, die ein junger Mensch wie ich einfach nicht hat. Also muss man definitiv Geduld üben und praktizieren und ununterbrochen an seinen Werken arbeiten. Man muss sich selbst und seine Arbeit ernstnehmen. Wenn jemand sich wirklich mit Kunst beschäftigen will, darf ihn nichts daran hindern.

Was sind deine Zukunftspläne? Planst du demnächst neue Projekte oder eine Ausstellung?
Derzeit arbeite ich an einer großen Ausstellung weiblichen Schaffens im Museum in Temeswar, die die bekannte rumänische Kuratorin Andreea Foanene gestaltet, und außerdem kommt die dritte Ausgabe der Zeitschrift Zent in Belgrad heraus, für die die Kuratorin Amalija Stojsavljević einen Artikel über meine Serie PUTZMALEREI geschrieben hat. Die nächste Ausstellung wird am 26. Oktober in Užice eröffnet. Das ist eine Einzelausstellung, für ich eine neue Arbeit vorbereite. Geplant ist auch eine Einzelausstellung in Bratislava 2019, in der ich meine Multimedia-Installation MOLERAJ zeigen werde.

Wie schaffst du es, die Fakultät und deine professionelle Karriere unter einen Hut zu bringen?
Meine Projekte und Ausstellungen sind nicht Teil der Fakultätsausbildung, sondern mein eigeninitiatives Schaffen. Alle Prüfungen habe ich bereits bestanden und sollte jetzt anfangen, an meiner Diplomarbeit zu arbeiten. An der Akademie verläuft die Diplomprüfung so, dass man eine Ausstellung macht. Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr fertig werde, aber im Moment konzentriere ich mich auf die Arbeit und auf die Möglichkeit, in Österreich zu bleiben.

Neben meiner künstlerischen Arbeit organisiere ich gemeinsam mit meinen Kollegen auch Ausstellungen. Als Kuratorenpaar haben Žarko Aleksić und ich 2016 im Friday Exit in Wien eine Ausstellung unter dem Titel „Balkanizacija“ gestaltet, an der 17 internationale Künstler teilgenommen haben. Thema war die Balkanisierung, aber nicht nur im Sinne der Darstellung balkanischer Zustände, sondern auch im Sinne des geopolitischen Begriffs der „Balkanisierung“, der den Zerfall von Ländern in kleinere Einheiten bezeichnet. Dazu gehörten auch der Kontext der Migration und der Balkanroute sowie das Konzept der Balkanisierung Europas. Das ist ein Konzept Ljubomir Micićs, des Gründers der avantgardistischen Zeitschrift Zenit in Zagreb und Belgrad, der sich nicht auf den Zerfall oder die Teilung Europas in seine Mitgliedsländer bezieht, sondern auf die kulturelle Emanzipation des osteuropäischen Menschen vom Westen. Im Katalog gibt es Arbeiten von Künstlern aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Ukraine, Russland, Spanien, der Slowakei, Österreich und dem Kosovo.

Gewinnspiel: KOSMO schenkt seinen Lesern sechs Kataloge mit dem Titel Balkanizacija (Balkanization) mit Werken von Künstlern aus Serbien, Kroatien, Kosovo, Österreich, Spanien, der Ukraine, Russland und der Slowakei. Zu den Künstlern gehören Jelena Micić, Žarko Aleksić, Luan Bajraktari, Beba Fink, Miguel González Cabezas, Marko Marković, Florian Mayr, Patrick Schabus, Ania Shestakova, Siegmund Skalar und andere. Sollten Sie Interesse haben, füllen Sie unser untenstehendes Formular aus.

Autorin: Jovana Vasilic

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