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Übergriffe

Mutige Frau bricht ihr Schweigen: Misshandlung durch Stiefvater und Mutter

(FOTO: privat/zVg)
(FOTO: privat/zVg)

Jahrelang musste Susanne (Name von der Redaktion geändert) die Misshandlungen durch ihren Stiefvater ertragen. Auch ihre Zwillingsschwester und ihr älterer Bruder litten unter den Übergriffen. Doch so schnell ihre Geschichte vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit kam, so schlagartig hörten die Medienberichte dann auch wieder auf. KOSMO hat eine mutige, junge Frau zum Interview getroffen, die nun ihr Schweigen brechen will.

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Sensibler Inhalt: kann auf manche Menschen verstörend wirken.

Susanne ist heute 30 Jahre alt. Bis auf das Gerichtsverfahren bei dem ihre Mutter und ihre Stiefvater verurteilt wurden, hat sie ihre Geschichte noch nie öffentlich erzählt. Die Anschuldigungen wiegen schwer und die Narben liegen tief. So tief, dass Susanne und ihre Schwester nicht einmal mehr das Wort „Mutter“ verwenden wollen. Wie sich herausstellt, nicht ohne Grund. Denn die vereidigten Zeugenaussagen bestätigen Handlungen und Vorgehensweisen, die das Wort „Mutter“ unwirklich erscheinen lassen.

Nun will Susanne andere Missbrauchsopfer mit ihrer Geschichte schützen, ihnen Mut machen und den richtigen Weg weisen. Denn je mehr man über das Thema bescheid weiß, umso besser kann man seine Kinder aufklären.

Sekte in Indien

Die Geschichte beginnt wohl in Indien. Noch vor Geburt der drei Kinder, die in den folgenden Jahren mehrfach sexuellem, psychischem und physischem Missbrauch ausgesetzt werden. Die Mutter, Ines (Name von der Redaktion geändert), lernt den biologischen Vater der drei Kinder in einer Sekte kennen. Er kommt aus England, sie aus Kärnten. Im Zuge einer Massenhochzeit werden die beiden verheiratet. Doch die Beziehung zerbricht wenige Jahre später, mit dem Austritt der Eltern aus der Sekte.

Innerhalb der Glaubensgemeinschaft soll es mehrfach zum Kindesmissbrauch gekommen sein. Allerdings gelangen solche Informationen eher spärlich an die Öffentlichkeit.

Susannnes leiblicher Vater verliert das Sorgerecht für seine drei Kinder und wird von Seiten der Mutter ausgegrenzt. Ganze zehn Jahre darf er seine Kinder nicht sehen.

Der Stiefvater

Im Alter von etwa zwei Jahren haben sich meine Eltern scheiden lassen und wir Kinder wurden von Ines nach Kärnten gebracht.„, erzählt Susanne im KOSMO-Interview. Ein halbes Jahr später, trifft Ines einen zehn Jahre älteren Mann. Den künftigen Stiefvater der Kinder, Paul (Name von der Redaktion geändert). Er ist Lehrer in einem Bundesrealgymnasium und für seine strengen Lehrmethoden im Ort bekannt. Auch Ines war zuvor seine Schülerin gewesen.

Was den beiden Zwillingsschwestern bis heute deutlich in Erinnerung geblieben ist, ist die Tatsache, dass sich Paul schon von Beginn an der Beziehung sehr in die Kindeserziehung einmischt. Besonders in Bereiche, die für so eine junge Partnerschaft untypisch und unpassend scheint.

Intimpflege und Körperhygiene

So hat sich Paul schon sehr früh in die Intimpflege und Körperhygiene der Kinder implementiert. Bis er dann irgendwann für die Kinder zum alleinigen Ansprechpartner für diesen Bereich wurde. „Durch diese Erziehung war es für uns anfangs ganz normal, dass uns unser Stiefvater bei der Intimpflege unterstützt und es dadurch zu Berührungen unseres Genitalbereiches kommt.„, erklärt Susanne. Dennoch stellt sich bei den Kindern ein seltsames Gefühl ein, mit dem sie zu ihrer Mutter gehen, um ihr zu sagen „dass der Papa komisch ist.“ Allerdings hat Ines wohl wenig Interesse an den Aussagen ihrer Kinder. Sie gibt ihnen zu verstehen, dass sein Verhalten „normal“ wäre.

Bis etwa zum siebten Lebensjahr der Zwillingsschwestern kann Paul seine Neigungen noch „geschickt unter dem Deckmantel der Intimpflege und Körperhygiene verpacken.„, erinnert sich Susanne. Danach werden die Übergriffe deutlicher. Bis sie ausarten. Alles im Beisein der Mutter, die mit Eifersucht und Ignoranz antwortet. Ignoranz während dem sexuellen Missbrauch und Eifersucht im nachhinein.

Ferienhaus in Kärnten

Doch die extremsten Misshandlungen muss Susanne in einem idyllischen Ferienhaus in Kärnten ertragen. Die Familie verbringt im Frühling und Sommer viel Zeit an diesem Ort. Hier werden die sexuellen Übergriffe intensiver und häufiger. Die Offenheit des Missbrauchs, obwohl nie verbal ausgesprochen, schleicht sich in das verstörende Familienleben ein.

In diesem Ferienhaus haben sich Ines und Paul wesentlich mehr getraut. Obwohl wir alle gemeinsam im Ferienhaus waren, wurde ich von Ines (…) in das Schlafzimmer gebracht. Ich musste reingehen und die Schlafzimmertür wurde zugesperrt. Im Schlafzimmer hat bereits mein Stiefvater auf mich gewartet…„, kann sich die junge Frau noch gut erinnern.

Susanne wurde manchmal auch unter Drogeneinfluss gesetzt. Scheinbar um sie für die Misshandlungen ruhig zu stellen, denn „nachdem ich dieses Getränk getrunken hatte, wurde mir schwummrig. Ich meine damit, dass ich müde wurde und mir schwindelig war.“ Aber wahrscheinlich auch um die Erinnerungen an die Taten verschwimmen zu lassen: „An diese Vorfälle kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, weil ich nach diesem Getränk immer benommen war.

Der ORF-Bericht ist online nicht mehr auffindbar. Susanne selbst hat den Mitschnitt aufgenommen. (Quelle: private Aufnahme)

Bis zum 12. Lebensjahr

Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr gehen die Misshandlungen weiter. Susanne ist dabei das Hauptziel des pädophilen Lehrers. Ihre Schwester wird mehrmals ungewollte Zeugin der abscheulichen Taten. Doch im Kindesalter ist man in solchen Situationen mehr im Schockzustand als in Alarmbereitschaft. Was vielleicht auch aus unterlassener Hilfeleistung herrühren kann. Denn obwohl vor allem die Zwillingsschwester schon von Beginn an der Beziehung zwischen Ines und Paul ihre Bedenken äußerten, ließ man drei minderjährige Kinder in der Obhut von nun rechtlich verurteilten Pädophilen.

Um das zwölfte Lebensjahr herum hörten die sexuellen Übergriffe allmählich auf, bis sie ganz aus blieben. Eines ließ sich Paul allerdings nicht nehmen: die Zwillingsschwestern wurden weitere fünf Jahre gerne mal mit Reizwäsche beschenkt, die sie ihm dann vorführen mussten. Auch wurde die Gewalt extremer und die Strafen härter, da sich Paul mit zunehmenden Alter der Kinder nicht mehr wie gewohnt an ihnen vergreifen konnte. Zuerst stellte sich die Frustration bei ihm ein, danach wurde sie zur Aggression.

Die Kindheit von Susanne ist ein Mahnmal für familieninterne Kindesmisshandlung.Wir mussten ständig damit rechnen bestraft oder misshandelt zu werden. Ich hatte Angst von meinem Stiefvater erstochen zu werden, weil er regelmäßig in der Küche die Messer wetzte und mich dabei mit seinem Blick fixierte. Wenn ich heute auf meine Kindheit zurückblicke, scheint sie mir wie ein Horrorfilm.“

Hilfsprojekt für Schulmädchen

Nach der rechtskräftigen Verurteilung ihrer Peiniger letzten Jahres, fasst Susanne wieder ein wenig Mut. Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit steht nun an erster Stelle. Außerdem noch ein Hilfsprojekt, dass ihr Stiefvater ins Leben gerufen hat. Denn 2004 gründete Paul ein Sozialprojekt für Schulmädchen in Nepal und hatte sich, vor seiner Inhaftierung, regelmäßig dort aufgehalten.

Der Umstand, dass mein Stiefvater, der mich und meine Schwester jahrelang sexuell missbraucht hat, ein Hilfsprojekt für Schulmädchen geleitet hat, bereitet mir große Sorge., stellt Susanne mit Bedauern fest.

Das Projekt wird bis heute fortgeführt.

Hilfe bei Missbrauch

Falls Sie Personen kennen, die unter psychischem, physischem und/oder sexuellem Missbrauch leiden, zögern Sie nicht um Hilfe zu bitten:
• Rat auf Draht, Onlineberatung
• Rat auf Draht: Chatberatung Mo bis Fr, 18 – 20 Uhr
• Rat auf Draht: 147
• Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01 / 310 87 79
• Frauenhelpline: 0800 222 555
• Sorgentelefon für Kinder, Jugendliche und Erwachsene: 0800 / 20 14 40
• Psychiatrische Soforthilfe: 01 / 313 30

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