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KOMMENTAR

Nach dem Sturm ist vor dem Sturm: die zwei Gesichter von „Oluja“

(FOTO: Facebook/Kolinda Grabar-Kitarovic, Tanjug)

Am 4. August 1995 begann die berühmt-berüchtigte militärische Großoffensive „Oluja“, zu Deutsch „Sturm“. Und heute, 24 Jahre später, stellt sie auch weiterhin ein Pulverfass für den Balkan dar.

Auf einer Frontlänge von 630 Kilometern und einer Gesamtfläche von über 10.000 Quadratkilometern (rund 18% der Gesamtfläche Kroatiens) wurde von 4. bis 7. August 1995 seitens des kroatischen Militärs die Operation „Oluja“ („Sturm“) durchgeführt.
Schon in den frühen Morgenstunden des ersten Tages war in ganz Kroatien via Radio und Fernsehen eine Nachricht des kroatischen Präsidenten, Franjo Tuđman, zu hören. Er fordert die serbische Paramilitärs der Republika Srpska Krajina zur Kapitulation auf. Gleichzeitige gestand er den serbischen Zivilen volle Bürgerrechte zu.

Den kroatischen Einheiten gelang es, die paramilitärischen Einheiten der 1991 gegründeten Republika Srpska Krajna zu besiegen und beendeten somit den Krieg in Kroatien. Während dieses Einsatzes wurden von kroatischen Einheiten Kriegsverbrechen an vor allem der serbisch-orthodoxen Bevölkerung verübt. Mehr als 200.000 Menschen wurden vertrieben und tausende Zivile getötet.

Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag bezeichnet die Handlungen während der Operation als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und spricht hier unter anderem von Mord, Raub, Brandlegung, ethnischer Säuberung. Zu großen internationalen Verurteilungen kam es allerdings nie.

Zu den Wohl umstrittensten Gerichtsverfahren über die Geschehnisse während „Oluja“ zählt das Berufungsverfahren des kroatischen Kommandanten, Ante Gotovina, welcher am 16. November 2012 von allen Anklagepunkten freigesprochen und aus der Haft entlassen wurde.

Flüchtende während der Operation „Oluja“ (FOTO: zVg.)

Ustascha-Symbolik und Kolindas „Wunsch, selbst eine Waffe in die Hand zu nehmen“
In Kroatien wurde der 5. August als „Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit“ („Dan pobjede i domovinske zahvalnosti“) gefeiert. Seit 1996 finden in Knin, der ehemaligen „Hauptstadt“ der Republika Srpska krajina, die Hauptfeierlichkeiten statt, da vor 24 Jahren diese Stadt, welche der ehemalige Sitz kroatischer Könige war, seitens der Einheiten Kroatiens erobert wurde.

In Split fand gestern anlässlich der Jahresfeier von „Oluja“ ein Konzert des kontroversen Sängers Marko Perković Thompson statt. Wie „Index.hr“ berichtete, forderte der Musiker seine Fans vor seinem Auftritt auf, mit Symbolen und Abzeichen der kroatischen Siegesarmee zum Konzert zu kommen. Allerdings kamen einige der Besucher mit Nazi-Symbolen zur Feier.

Wie diverse kroatische Medien berichten, wurden in Split zahlreiche Transparente, T-Shits, Abzeichen mit Ustascha-Symbolen vor Ort gesichtet. Auch diverse faschistische Lieder aus dem zweiten Weltkrieg und der berühmt-berüchtigte Gruß „Za dom – spremni!“ soll man mehrfach in der dalmatischen Stadt gehört haben.

Über die Geschehnisse vor etwas mehr als 20 Jahren äußerte sich auch die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović, die in den vergangenen Tagen im heftigen Kritikfeuer durch die Nachbarländer steht. Ihre Aussage über „militanten Islamismus“ in Bosnien-Herzegowina und „dass Oluja weitere Srebrenicas verhinderte“ sorgten, gelinde gesagt, für großen Aufschrei.

Grabar-Kitarović arbeitete während des Jugoslawienskrieges als Assistentin eines NATO-Sekretärs. Im Interview für N1 teilte sie ihre Erinnerungen an die Geschehnisse in Knin: „Am liebsten hätte ich damals selbst ein Gewehr in die Hand genommen und an die Front gegangen“, so die kroatische Präsidentin. Sie fügte jedoch hinzu, dass sie wenige Sekunden darauf realisierte, dass Kugeln und Auseinandersetzungen mit den Kriegsgegnern nicht die Lösung seien.

Vučić: „Wo sind die 400.000 Serben und Jugoslawien aus Kroatien geblieben?“
Auf der anderen, der serbischen, Seite gilt die Operation „Oluja“ als das wohl größte Verbrechen an Serben während des Jugoslawienkrieges. Aus diesem Grund wird dort, ebenso am 5. August, der „Tag des Gedenkens an die Leiden und die Vertreibung der Serben“ („Dan sećanja na stradanje i progon Srba“) begangen.

„Hitler wollte eine Welt ohne Juden, Kroatien ein Kroatien ohne Serben“, sagte die serbische Staats- und Regierungsspitze im vergangenen Jahr und fügte hinzu: „In beiden Fällen wurde eine Endlösung verlangt“. Auch dieses Jahr hielt sich Vučić an eine ähnliche Rhetorik.

Der serbische Präsident verlangte von der kroatischen Regierung eine offizielle Erklärung: „Laut der Volkszählung 1991 hatte es damals in Kroatien 582.000 Serben und 106.000 Jugoslawen, das heißt rund 650.000 Serben gegeben. Im Jahr 2011 lag ihre Zahl bei nur 184.000. Wo sind denn 500.000 Serben geblieben?“ Ebenso wiederholte er mehrfach, dass Kroatien einen „Freudentag“ feiere, während derselbe Tag für Serbien „einen der traurigsten in der serbischen Geschichte der Gegenwart darstelle“.

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Blinde Flecken gehören endlich beleuchtet
Dies kroatischen Feierlichkeiten sind jedes Jahr sehr starker Kritik ausgesetzt, vor allem von serbischer Seite. Dieses Jahr ist „Oluja“-Schlagabtausch wohl einen Höhepunkt erreichen, da die Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien stark am Kippen sind. Gleichzeitig wird Kroatien auch in der Welt aufgrund diverser rezenter neo-faschistischen Geschehnisse bekrittelt.

Ohne jetzt in irgendeiner Weise Partei ergreifen zu wollen, so zeigt der Umgang mit der Vergangenheit in beiden Ländern nur zu gut, dass die Geschichte unzureichend aufgearbeitet wurde. Krieg, Hass und gegenseitige Schuldzuweisungen stehen auch weiterhin im Vordergrund.

In Kroatien wird eine Gräueltat an der Zivilbevölkerung als Sieg gefeiert und zu einem der größten Tage in der jungen Geschichte des unabhängigen Kroatiens propagiert. In Serbien wiederum geht es in Wirklichkeit so gut wie gar nicht darum, den Opfern zu gedenken. Vielmehr wird Salz in noch offene Wunden gestreut, um die Kroaten weiterhin als „Feinde des serbischen Volkes“ zu positionieren.

Nun mehr als 20 Jahre nach den Geschehnissen ist es wohl mehr als an der Zeit, diese blinden Flecke der gemeinsamen Geschichte zu beleuchten. Auch wenn es sich hierbei um hunderte Kapitel handelt, welche für die eine oder aber die andere Seite schmerzhaft sind, so ist der Weg in die Zukunft mit mehr als schwerem Ballast aus der Vergangenheit für beide Seiten kein guter.

Eine echte Aufarbeitung der Ereignisse von damals steht noch aus. Dies wäre allerdings die einzige Möglichkeit diese Diskrepanzen aus dem Weg zu schaffen.