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KOMMENTAR

Spezies Balkanfrau – Kraft durch Schmerz

(FOTO: iStock/ Clara Murcia)

Balkanfrauen. Die Frauen vom Balkan gehen mit Schmerz anders um. Es scheint ein angeborenes Phänomen zu sein. Denn ganz gleich welches Problem auftritt, ganz gleich welches Trauma durchlebt wird, man erträgt es mit einem en vogue Look und breitem Lächeln.

Dem Verfall hingeben? Das ist das gesellschaftliche Todesurteil jeder Balkanfrau. Bereits meine Großmutter pflegte immer zu sagen „Uvijek se lijepo sredi„, dt. ‚Mach dich stets hübsch‘. So als wäre dies noch die letzte Hoffnung, die einzige Rettung, um das eigentliche Chaos rundherum auszublenden. Gemeint ist damit aber nicht nur, der Außenwelt wegen sich schick zu machen, also den Ruf zu wahren, sondern aus großem Respekt zu sich selbst, für die persönliche Anmut. Schon meine Nicht-Balkan Freundinnen rätseln oft herum „Wie macht ihr das, trotz dieser und jener Begebenheit immer so zu strahlen, immer so perfekt gestylt herumzulaufen?“ Für mich ist diese Frage irrelevant, denn ich kenne nichts anderes.

Durchhalten und das Beste aus allem machen, dabei immer gut aussehen und brav lächeln, diese Werte lebt man als Balkanfrau. Doch es ist nicht nur eine inoffizielle kulturelle Konvention unser Äußerliches besonders zu pflegen, die uns durch Generationen hindurch mitgegeben wird. Es ist die Tatsache, dass wir alle Aufgaben, Eigenschaften, Fähigkeiten des männlichen Balkanparts beherrschen müssen.

My father calls me „sine“

Jede Balkantochter kennt das Szenario von Kindheit an: „Sine, donesi mi ovo ono, napravi mi ovo ono“, dt. ‚Sohnemann, bring mir das, oder mach dies‘. Sine ist ein Universalbegriff für das Kind, also im modernen Sinne unisex. Er wird einerseits als liebevoller Kosename gebraucht, wenn man fremde Kinder anspricht, andererseits als allgemeiner Ausruf. Demnach sind alle Kinder in der Balkanvorstellung Söhne.

Allein die Tatsache dass die Töchter mit den „sinovi“ (Pl. von sin, in allen slawischen Sprachen ‚Sohn‘) gleichgesetzt werden ist nur ein kleiner aber wesentlicher Aspekt, der zeigt welche Bedeutung der Balkanfrau zugeschrieben wird. Dabei wird das vorherrschende widersprüchliche patriarchale System am Balkan in seiner vollen Ausprägung präsentiert. Etwas, das in der Familienhierarchie über Jahrhunderte gegeben ist: der Prestigecharakter des Mannes, im Gegenzug dafür die Anforderungen an die Frau, die ein übergeordnetes Wesen ist.

In der Übersetzung soll das bedeuten: die Frau weiß und kann alles. Denn sie ist sin und kćer, mama und tata (Sohn, Tochter, Mama, Papa) in einem. Sie fungiert als allwissende Macht, muss alles können, alles ertragen, alles voraus wissen, denn sie besitzt die vorausgesetzte Stärke dafür. Ein technisches Gebrechen? Wasserschaden? Ausmalen? Autoreifen montieren? Neben dem Haushalt, Vollzeit Job und der Kindererziehung ist die Rolle der Psychologin, Schwester, Mutter und besten Freundin, die man für Kinder und Mann sein muss, alles ein selbstverständlicher Nebenjob. Dabei niemals zu vergessen wie vom Laufsteg entsprungen auszusehen. Für die Balkanfrau alles kein Problem, denn sie kann alles und weiß sich immer zu helfen. Das musste schon immer so sein und wird (womöglich) auch immer so bleiben.

Die Frau hat keine Schmerzen

Durch das südländische Temperament empfinden die Balkanfrauen alles um ein vielfaches stärker und leidenschaftlicher. Es zeichnet sich in den Augen ab, der Haltung, tief verwurzelt im Denken und Handeln, der Art zu leben. Emotionen werden ohne Scham in Mimik und Gestik ausgelebt. Doch sieht man uns Leid nicht gerne an, denn das ist das einzige, das nicht gerne gesehen wird. Außer die regelmäßigen Phrasen der überlasteten Mütter „Vidjet ćete vi kad ja jednog dana umrem„, dt. ‚Ihr werdet schon sehen was ihr davon habt, wenn ich einmal sterbe‘, wird keinerlei Beschwerde publik gemacht, denn Leid existiert praktisch nicht. Eine Frau ist ein so höhergestelltes Wesen mit Superkräften, der alle Eigenschaften des Mannes innewohnen, daher kann sie gar nicht leiden.

In wenigen einsamen Momenten würden diese besonderen Frauen zulassen, dass lang unterdrückte Emotionen sie überkommen und mit der Realität konfrontieren, doch bereits nach dem ersten Kaffee mit der besten Freundin meldet sich ein gemeinsamer Gedanke im Kopf zurück, der sie alle stets begleitet: „Pa dobro, bit će bolje“ – Gläser heben und Prost aufs Leben! – auf Deutsch ‚Jo, wird scho‘ wieder‘. Der Kampfgeist und die Lebenslust, die seit Generationen tradiert werden, melden sich zurück und man präsentiert sich in der Außenwelt in voller Blüte, sprießend vor Freude und Stärke. Ein Überlebensinstinkt, der stets aktiviert wird.

Eigenschaften wie Stärke und Durchhaltevermögen gehören allen Frauen dieser Welt an, doch gibt es etwas, das die Balkanfrauen vom Rest der Welt unterscheidet: Wir begegnen jeder speziellen Situation mit einem Lächeln – wenn auch noch so unaufrichtig – und einer unglaublichen Ausstrahlung. Für die Balkanfrauen ist das eine so selbstverständliche Regel wie für andere die tägliche Tasse Kaffee. Ganz gleich was gerade passiert, (er-)trage es feierlich. Wenn schon untergehen, dann bitte majestätisch. Würde, Stolz und ein Heldencharakter mit Nerven aus Stahl machen die Frauen vom Balkan aus, und sie leben es auf ihre Weise. Eine für die Öffentlichkeit unverständliche Lebensfreude, die in den brenzligen Situationen standhaft bleibt, zusammen mit einem unermüdlichen Optimismus.