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REPORTAGE

„Wir haben zu spät begonnen, unsere Geschichte schriftlich festzuhalten“

Sie waren sich laut Hadžić der Schwierigkeit bewusst, hätten aber nicht ahnen können, dass sie 17 Jahre für die Realisation brauchen würden. Sie hatten damals bereits die Notwendigkeit einer zentralen Behörde erkannt. Zwar war der Islam als Religion zu dem Zeitpunkt bereits anerkannt und es herrschte schließlich Religionsfreiheit. Es bedürfte aber eine Behörde, um zum Beispiel den Islamunterricht an den Schulen zu regeln und Lehrer auszubilden sowie zu entsenden, die Interessen der Muslimen auf staatlicher Ebene zu vertreten und sich um sonstige Angelegenheiten zu kümmern. Balić, Velagić und später auch Hadžić wussten das.

Der MSD begann in einfachen Verhältnissen und mit einer simplen Mission: die Integration der Muslime zu fördern. Es war für Balić, der österreichische Staatsbürger war, kein Widerspruch Muslim und Österreicher zu sein und diese Botschaft wollte er mit dem Verein nach außen (aber auch innerhalb der kleinen muslimischen Community) tragen. In ihrer ersten Vereinsräumlichkeit in der Favoritenstraße im vierten Bezirk begannen sie Vorträge, Kulturabende und Feste an den muslimischen Feiertagen zu organisieren. Auch wurde der Dialog mit den anderen Religionen gesucht, etwas, das sich zu einer der wichtigsten Aufgaben des Vereines entwickeln sollte. „Wir hatten eine sehr gute Beziehung zum Kardinal Franz König, damaliger Erzbischof von Wien und Gründer des Afro-Asiatischen Instituts, entwickelt“, sagt Hadžić.

„Wir hatten eine sehr gute Beziehung zum Kardinal Franz König, damaliger Erzbischof von Wien und Gründer des Afro-Asiatischen Instituts, entwickelt“

Am 26. Jänner 1971 stellte der MSD dann beim damaligen Bundesministerium für Unterricht und Kunst den „Gesuch um die staatliche Genehmigung der Errichtung der Islamischen Kultusgemeinde“, wie es im Antrag geschrieben steht. Dann machte der Verein einfach mit seiner Arbeit weiter, hoffend bislang genügend Integrationswille und friedliche Absichten bewiesen zu haben. Die Zahl der Mitglieder (und der Spenden) wuchs langsam und nach zehnjähriger Tätigkeit hatte der Verein endlich genug Geld, um einen Imam anzuheuern. Am 26. Februar 1973, etwa drei Wochen vor seinem 20. Geburtstag, reiste Hadžić in Wien an, um die Arbeit anzutreten. Zu dem Zeitpunkt hatte der MSD seinen Sitz in der Münzgasse im dritten Bezirk verlegt. Schon bald wurde dort das Freitagsgebet gebetet. Die kleine Räumlichkeit wurde somit zu einer der ersten Moscheen in Österreich. Und Hadžić damit (mehr oder weniger) der erste offizielle Imam in der Neuen Republik.

Salim Hadžić wurde am 19. März 1953 in dem kleinen Dorf Hrvati im Nordosten Bosnien und Herzegowinas geboren, wo er auch die Volksschule besuchte. Um am Oberstufenunterricht teilnehmen zu können, musste er jeden Tag zu Fuß zum fünf Kilometer entfernten Dorf Doborovci gehen. Danach inskribierte er die Gazi Husrev Beg Madrasa in Sarajevo und absolvierte diese 1972; im gleichen Jahrgang wie Mustafa Ceric, der ehemalige Reis-ul-ulema (Großmufti) Bosnien und Herzegowinas. Nach seinem Bildungsabschluss wollte ihn die Oberste Islamische Behörde in Jugoslawien in den Sudan zwecks Weiterbildung schicken doch Hadžić wollte lieber in Europa bleiben. Er wünschte sich Paris, bekam aber Wien, das in einer Sache in starkem Kontrast zu Paris steht: man kann die österreichische Metropole definitiv nicht als Stadt der Liebe bezeichnen. Das Angebot, das ihm gemacht wurde, war zu verlockend, um abzulehnen. In Wien konnte er neben seiner Funktion als Imam auch an der Universität Wien studieren (im Laufe seiner Zeit in Wien studierte er Orientalistik, vergleichende Religionswissenschaften, Slawistik, Pädagogik und Philosophie, das er mit einem Doktorat abscloss). Er willigte ein. Die Tatsache, dass der MSD von bosnischen Intellektuellen geleitet wurde, erleichterte seine Entscheidung.

Nach seiner Ankunft begann er Sonntagsunterricht für Kinder zu leiten, Ehen nach islamischem Recht abzuschließen und gemeinsam mit Velagić Muslime in ganz Österreich zu besuchen. Dort lernte er auch zu schreiben. Der Verein war nämlich auch publizistisch tätig. Von 1959 bis 1975 wurde ein Bulletin namens „Der gerade Weg“ in unregelmäßigen Abständen herausgebracht. Von 1975 bis 1979 erschien es dann als offizielles Organ des MSD in einer neuen Serie vierteljährlich. „Liberal in ihrer Denkweise, exakt in ihren Arbeitsmethoden und dem islamischen Ideal des Humanismus verbunden, will die Redaktion in bescheidener Weise zur Konsolidierung des Islam in Europa beitragen“, steht es im Vorwort der ersten Ausgabe der neuen Serie. Der Verein hat auch Bücher publiziert. „Wir waren uns der Bedeutung der Feder bewusst“, sagt Hadžić bei unserem dritten Interviewtermin, weiterhin erkältet. Die Jahrzehnte in denen der MSD aktiv war, waren noch stark vom Konflikt zwischen Israel und Palästina gekennzeichnet, man denke da an den Sechs Tage oder den Yom Kippur Krieg oder die Zahl der Anschläge, die von Terrororganisationen verübt wurden. 1973 kam es zudem zur ersten Ölkrise, die sich stark auf die Weltwirtschaft auswirkte. Der MSD befürchtete, dass die mediale Berichterstattung über diese Ereignisse zu einem verallgemeinernd starren negativen Bild der Muslime führen könnte (warum kommt mir das nur so bekannt vor?) weshalb sie sich bemühten aufzuklären. Mäßige Erfolge konnten sie insofern verbuchen, als dass die Zahl der Anwesenden bei den interreligiösen Treffen wuchs.

Innerhalb der muslimischen Community war es jedoch ein anderer Faktor, der Menschen zum MSD brachte. Die Tatsache, dass der MSD einen Imam und eine Räumlichkeit zum Beten hatte, lockte viele Muslime, die bis dato den Verein nur peripher wahrnahmen, an. Dadurch wuchs auch die Zahl der Besucher, sodass wieder neue Räumlichkeiten gebraucht wurden. „Das Freitagsgebet haben wir auch in der Küche gebetet“, erinnert sich Hadžić. Der Zuwachs beflügelte sie in ihrem Wirken doch es gab da immer noch diesen einen enttäuschenden Elefanten im Raum. Es war bereits 1975 und ihr Antrag war immer noch nicht bearbeitet. Auf Anfragen bekamen sie zu hören, dass es noch dauern werde. Sie suchten das Gespräch mit dem Sektionschef Adolf März und dem Ministerialrat Karl Anderle. Doch mehr als Versprechen, dass der Antrag bis zum Ende des Jahres bearbeitet werde, konnten sie nicht erringen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als wie gewohnt mit dem Tagesgeschäft weiterzumachen. 1975 endete ohne einen Bescheid des Ministeriums.

„Wir haben alle in Österreich akkreditierten Botschafter der islamischen Länder angeschrieben und an sie appelliert
unser Ansuchen zu verbreiten“

In der Zwischenzeit begann der Verein indes einen Spendenaufruf, um eine größere Räumlichkeit zu erwerben. 250.000 Schilling konnten sie von Privatpersonen einsammeln, den größten Teil davon von türkischen Gastarbeitern, wie Hadžić betont. „Wir haben aber auch den Zuwandererfonds kontaktiert. Sie haben 100.000 Schilling gespendet“, sagt Hadžić, der noch eine Kopie des Briefes zuhause hat. 1976 zogen sie in der Werdertorgasse in der Inneren Stadt ein. Um die Räumlichkeiten zu renovieren und nach ihren Bedürfnissen zu adaptieren, würde der MSD eine weitere Geldspritze benötigen. „Wir haben alle in Österreich akkreditierten Botschafter der islamischen Länder angeschrieben und an sie appelliert unser Ansuchen zu verbreiten“, erzählt Hadžić. An diese Episode erinnert er sich gerne, vielleicht auch weil er es nach wie vor nicht so genau glauben kann. Es meldete sich eine lybische karitative Vereinigung namens Jam’iyat ad-Da’wa al-Islamiya al-Alamiya. Sie spendeten 400.000 Schilling. Das Überraschende für Hadžić kam danach: nachdem der Generalsekretär der Organisation die Eröffnung der Räumlichkeit beiwohnte, sagte dieser zusätzliche drei Millionen Schilling zu. „Wir waren überglücklich“, sagt Hadžić und strahlt fast. Das Geld wurde auf die Seite gelegt.

Dann kam der in gewisser Hinsicht historische Tag, der 2. Mai 1979. Nachdem alle Voraussetzungen zur Bildung einer Kultusgemeinde erfüllt waren, erteilte das Bundesministerium mit dem Bescheid Zl. 9076/7-9 c/79 die Genehmigung zur Errichtung einer Islamischen Religionsbehörde und der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Mit der Millionenspende hatte der MSD kurze Zeit zuvor ein Haus in der Bernardgase in Wien Neubau gekauft. Es ist jenes Haus in dem heute noch die IGGiÖ untergebracht ist. Und so schließt sich der Kreis. Wenn der MSD nicht die Arbeit gestemmt hätte, gäbe es heute keine Islamische Glaubensgemeinschaft in dieser Form, so imperfekt wie sie auch sein mag. Daraufhin löste sich der MSD auf. Der damligen Präsident des MSD, Ahmad Abelrahimsai, wurde zum ersten Präsidenten der IGGiÖ. Fragt man Hadžić was seine Funktion war, wird er „Religionslehrer“ antworten. Diesen Beruf hat er 37 Jahre lang ausgeübt; heuer geht er in Pension. Über seine Zeit beim MSD redet Hadžić nur dann, wenn er darauf angesprochen wird.

Vielleicht liegt es an dieser Bescheidenheit, dass man so wenig über den MSD weiß. Nur die lautesten werden schließlich gehört. Vielleicht suche ich aber auch nur nach Ausreden für meine Versäumnis. Fakt ist, dass Balić, Velagić und später Hadžić nicht „laut“ waren. Still aber doch packten sie an. Dass man sie nicht kennt war ihnen ziemlich egal, sie taten es schließlich nicht für den Ruhm. Vor mir sitzt ein Pionier für den Islam in Österreich und ich kannte ihn und seine Arbeit bis vor Kurzem nicht. Ich blicke in seine Augen und denke mir: jetzt kenne ich dich! Aber das sage ich nicht. Stattdessen verabschieden wir uns und ich wünsche ihm eine rasche Genesung.

Autor: Muhamed Beganović