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HUMAN

Demenz als berufliche Herausforderung

Bojana Radojevic (FOTO: Radule Bozinovic)

„Die Früherkennung der Krankheit und ein früher Behandlungsbeginn können ihr Fortschreiten in hohem Maße verhindern. Die Österreicher sind vernünftig und beherzigen die Ratschläge der Experten. Sie packen das Problem beim Schopf. Bei den Migranten ist das Bild ganz anders. Aus kulturellen und religiösen Gründen und im Gegensatz zu den Österreichern versuchen sie, dass Problem der Demenz im engsten Kreis von Freunden und Familie zu halten. Meistens suchen sie nach Entschuldigungen, als sei die Krankheit eine Schande, und behaupten, es handele sich um eine Kriegsfolge oder irgendein anderes Trauma. Sie können die Tatsache einfach nicht akzeptieren, dass es sich um eine organische Erkrankung handelt“, betont Frau Beširević und fügt hinzu, dass sie bisher noch keine Klienten unserer Herkunft hat. Ab dem Herbst wird bei DKL auch eine Psychotherapeutin mitarbeiten. Ein neues Projekt sieht die Arbeit mit den Familien der Patienten vor, die sich mit der neuen Situation oft nicht abfinden können. Das Ziel ist es, vor allem den kranken Menschen zu helfen. „Die meisten dementen Menschen wollen in ihren Wohnungen bleiben, wo ihnen alles bekannt ist und wo sie sich sicher fühlen. Sie ziehen sich in sich selbst zurück, gehen nicht mehr gerne unter Menschen, selbst ihre Kommunikation mit der Familie geht oft zurück. Sie schämen sich wegen ihres neuen Zustands, werden depressiv, und der Umzug in irgendeine Institution wäre für sie ein allzu großer Schock. Mit ihnen muss man sehr sorgsam, delikat und freundlich umgehen, denn sie sind keine Kinder, auch wenn sie sich oft wie Kinder benehmen. Unsere Rolle ist es, ihnen diesen Zustand zu erleichtern, aber das mit möglichst wenig Pharmazeutika“, betont unsere Gesprächspartnerin.

Sie hat den Beruf gewechselt
Bojana Radojević (32) hat in Belgrad die Fakultät für Meteorologie und Forstwirtschaft abgeschlossen, und bevor sie sich vor fast drei Jahren entschloss, in der Gesellschaft DKL mit Alma zusammenzuarbeiten, hat sie eine Schule für MAS-Trainer (Morbus Alzheimer Syndrom) abgeschlossen. „Ich liebe diese Arbeit sehr, denn sie erfüllt mich ganz mit Zufriedenheit und es macht mich glücklich, wenn ich bei einem Klienten Anzeichen eines verbesserten Zustands entdecke. Meine Aufgabe ist es, nach der Analyse des Grades der Demenz, die gemeinsam mit Frau Beširević vorgenommen wird, mit den Pflegerinnen einen Arbeitsplan zu erstellen. Das Ziel ist es, unseren Klienten die bestehende Lebensqualität zu erhalten oder sogar zu verbessern. Unter anderem machen wir mit ihnen Trainings zur Erhaltung der Fähigkeit des logischen Denkens bei den Alltagsaktivitäten“, sagt Bojana, die täglich mit drei bis vier Klienten arbeitet, über einen Teil ihres Engagements. Das zweistündige Training besteht aus einem geistigen Teil, aus Gesprächen über Alltagsthemen, aus Zeitunglesen, Gesellschaftsspielen etc. „Natürlich machen wir zwischen den Einheiten Pausen, damit unsere Klienten nicht allzu sehr ermüden. Es ist sehr wichtig, dass wir ihnen gegenüber offen und kommunikativ sind, denn nur so können wir ihnen helfen, ihre depressiven Zustände zu überwinden. Interessant ist, dass sie uns gegenüber manchmal mehr Zuneigung zeigen als gegenüber ihren Familien. Für die Angehörigen ist es nicht leicht, diese Veränderung zu akzeptieren, aber mit gemeinsamen Kräften versuchen wir, das Fortschreiten der Krankheit bei unseren Klienten möglichst zu verlangsamen. Am Ende eines Arbeitstages fühle ich mich gut, egal, wie anstrengend der Tag war, vor allem wenn ich gesehen habe, dass ein Klient positiv auf die Methoden reagiert, die wir in der Arbeit anwenden“, sagt die junge Dame, die ihren neuen Beruf offensichtlich liebt, bescheiden.

Der Klient freut sich wie ein Kind über sie
Der Gesellschaft DKL ist vor einem Jahr auch Ana Periša (42) beigetreten, die in Kroatien eine Ausbildung als Tourismustechnikerin abgeschlossen und vor sieben Jahren eine Umschulung zur Pflegerin durchlaufen hat. Sie hat in einem staatlichen Pflegeheim für alte und behinderte Menschen gearbeitet und diese Erfahrung hat ihr geholfen, sich in der neuen Arbeit außerordentlich schnell zurechtzufinden. „Die Probleme der Demenz haben mich besonders interessiert, und dank Frau Beširević, die uns ständig neue Fortbildungen anbietet, kann ich sagen, dass ich viel gelernt habe. Derzeit arbeite ich mit zwei Klienten von Montag bis Freitag, und mit einem von ihnen verbringe ich acht Stunden täglich. Er leidet unter einer vaskulären Demenz und meine Arbeit ist mit seinen sonstigen Programmen abgestimmt, zu denen ich ihn begleite: physikalische Therapie, Trainings u.Ä.“, erzählt Ana von ihrem Lieblingspatienten und bemerkt, dass er sie jeden Tag an der Tür erwartet, weil er wie ein Kind an ihr hängt. Im Verlaufe des Tages, der mit gemeinsamen Aktivitäten ausgefüllt ist, bereitet Ana mit dem älteren Herren das Frühstück zu, geht das Programm der persönlichen Hygiene mit ihm durch, sie hören Radio und lesen Zeitung und sprechen darüber und sie schreiben gemeinsam.

FOTO: Radule Bozinovic

Die Trainings zur Anregung des Denkens sind ebenfalls ein Muss, und wenn das Wetter schön ist, machen sie Spaziergänge. „Am Ende eines Arbeitstages serviere ich ihm das Abendessen, das er dann alleine isst. Manchmal rufe ich ihn am Abend noch einmal an, und wenn ich den Eindruck habe, dass er am Tag nicht gut gelaunt war, schaue ich auch noch einmal vorbei und überzeuge mich, dass alles in Ordnung ist. Darüber freut er sich besonders, denn irgendwie ist ihm bewusst, dass ich das freiwillig tue“, fügt Frau Periša voller Zärtlichkeit in der Stimme hinzu. Interessant ist, dass Menschen mit dieser Diagnose den Kontakt zur Realität verlieren, dass aber in ihrem Bewusstsein manchmal alte, längst vergessene Kenntnisse wieder auftauchen. „Im vergangenen Jahr hat er mit einer wunderschönen Handschrift begonnen, auf Französisch Daten über wichtige Gebäude in Paris aufzuschreiben. Jetzt ist das eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Da ich ihn schon gut kenne, kann ich seine Reaktionen vorhersehen. Das beginnt damit, dass er am Abend vergisst, seine Medikamente zu nehmen und sich den Pyjama anzuziehen, und geht bis zu seiner Stimmung am folgenden Tag. Aufgrund dessen mache ich auch den Plan für unsere Tagesaktivitäten, um ihm unnötige Anstrengungen oder auch die Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit ihren unangenehmen Kommentaren zu ersparen. Diese Arbeit füllt mich aus, und ich erlebe meine Klienten als sehr nahestehende Wesen, die mich nicht ermüden. Über das Wochenende kann ich mich regenerieren und am Montag gehe ich mit Freude wieder zur Arbeit“, betont Frau Ana am Ende unseres Gesprächs.

Eine Chance für Studenten
Es ist bekannt, dass Studenten aus sogenannten Drittstaaten während des Grundstudiums bis zu zehn Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Wenn sie aber einen Gewerbeschein für Personenbetreuung bekommen, können sie auch länger arbeiten. Das bestätigt die Studentin Belma Šljivić (22):
„Ich bin seit fast einem Jahr in der Gesellschaft DKL aktiv, habe die Ausbildung durchlaufen und arbeite als Pflegerin, was mir ermöglicht, mein Studium ohne Probleme zu finanzieren. Natürlich kann ich nicht so viel arbeiten wie die anderen Kolleginnen, denn ich muss auch Zeit für die Fakultät und zum Lernen haben, aber ich habe mich sehr gut organisiert. Wichtig ist, dass man Deutsch spricht und genügend Humanität in sich hat, um die kranken Menschen zu verstehen, aber meine Kolleginnen und ich bekommen alle nötige Unterstützung und wir wissen die Chance zu schätzen, die uns geboten wird.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.