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MEIN SCHICKSAL

Kampf gegen die Sucht: Wenn das Leben schwierige Geschichten schreibt

Der Weg zurück zu mir selber

,,Mein wunderbarer Arzt und der Psychiater, den er mir empfohlen hatte, hatten viel Geduld mit mir. Sie wussten, dass ich ganz alleine war, denn mit meinen Eltern und meiner Schwester hatte ich keinen Kontakt mehr. Daher begannen sie sehr geduldig mit der Behandlung meines Körpers und meiner Seele. Sie reinigten ihn von allen Giften, die ich über die Jahre genommen hatte, und gaben mir eine Therapie, die mich in einen fast normalen Zustand zurückversetzte. In der Arbeit wurde es wieder besser, was auch der Chef bemerkte und anerkannte. Auch Leo, mein junger Kollege, wandte sich nicht von mir ab.

Obwohl er neben der Arbeit ein Ingenieurstudium absolvierte, fand er immer Zeit für gemeinsame Spaziergänge und lange Gespräche. Einmal, als wir am frühen Abend an der Donau entlanggingen, erzählte ich ihm ganz offen von meinen Problemen. Ich schonte mich nicht, verschwieg auch mein Abgleiten in die Sucht nicht, und er hielt nur meine Hand und wischte meine Tränen ab. Er versuchte nicht mich zu küssen, um mich nicht zu erschrecken. So vorsichtig verhielt er sich auch in den nächsten fünf Monaten mit mir und zeigte mir eine unwahrscheinliche Geduld und Achtung.

Über die Beziehung zu Leo habe ich auch mit meinem Therapeuten gesprochen. Er schlug vor, dass wir einmal gemeinsam zum Gespräch kommen sollten. Ich gebe zu, es war mir unangenehm, meinem Freund das zu sagen, aber als ich die Kraft aufgebracht hatte, sagte er sofort, ich solle ihm nur mitteilen, wann der Termin ist.

Ich habe mich nie im Leben besser und mehr geliebt gefühlt als an dem Tag, als Leo und ich in der psychiatrischen Praxis saßen und über mich und über unser Problem sprachen. Mein Freund sagte, dass mein Zustand ja auch    UNSER Problem sei, denn ich sei ihm sehr wichtig und er und ich seien in der Zwischenzeit zu WIR geworden.

Seit diesem Gespräch sind vier Jahre vergangenen. Leo hat sein Studium abgeschlossen und ich habe mich für ein Wirtschaftsstudium eingeschrieben. Wir leben zusammen, arbeiten zusammen und sind glücklich. Ich gehe nicht mehr zur Therapie, bin clean, ruhig und fröhlich. Ich schlafe normal und bin in jeder Beziehung gesund geworden. Ich muss zugeben, dass uns die Pandemie und all die zwangsweisen Einschränkungen noch näher zusammengebracht haben, denn wir haben die ganze Zeit gemeinsam verbracht und uns komplett kennengelernt. Im September werden wir heiraten und wünschen uns ein Baby.

Der Arzt hat meine Ängste vor einer Schangerschaft, die ich wegen der ersten schlimmen Erfahrung, aber auch vor möglichen Folgen meiner Tablettensucht hatte, zerstreut. Ich wünsche mir ein Mädchen und wäre ihm die beste Mama der Welt. Ich werde für sie alles sein, was meine Mama für mich nie war.

Meinen Eltern habe ich alles verziehen. Ich habe verstanden, dass sie mir so viel gegeben haben, wie sie in ihrer emotionalen Armut geben konnten. Manchmal sehen wir uns und es tut mir leid, dass ich den Graben, der zwischen uns klafft, nicht überbrücken kann. Ich bin froh, dass ich Leo, seine Mutter, die mich wie eine Tochter aufgenommen hat, und ein paar gute Freunde habe. Am glücklichsten bin ich aber darüber, dass ich endlich mich selber habe, einen gesunden, normalen und befreiten Geist der Vergangenheit. Ich bin mir bewusst, dass ich nur so gut sein kann zu den Menschen, die ich liebe, und auch zu meinem zukünftigen Kind“, sagt Tijana.