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Rassismus

Kommentar zum Diskurs der kulturellen Aneignung: Winnetou und Autobahnen

EPA/MARKUS SCHOLZ
EPA/MARKUS SCHOLZ

Unsere Gesellschaft wird gerade von einer Aufhebungskultur geprägt. Alles hinterlässt einen rassistischen Touch und soll geändert werden. Kann dieser Diskurs ein natürliches Ende finden oder klaffen die Lücken des Zusammenlebens weiter auseinander?

Black Lives Matter. Sicherlich ein Begriff der noch in den Ohren hallt. Damals hielten amerikanische Polizisten einen dunkelhäutigen Demonstranten fest, der starb, weil ein Beamter ihn mit dem Knie auf der Gurgel fixierte. Der Mann erstickte qualvoll. Massendemonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus waren die Folge. In dieser Debatte, die sich weltweit hochgeschaukelt hat, fand auch die Cancel Culture ihre Nährstoffe. Man begann alles unter die Lupe zu nehmen und sah an jeder Ecke Rassismus und Intoleranz. Es musste was geschehen.

Eine Aufhebungskultur entsteht

Der Begriff Cancel Culture ist aus Ereignissen entstanden, die im Rahmen von beleidigenden, diskriminierenden, rassistischen, antisemitischen, verschwörungsideologischen, bellizistischen, frauenfeindlichen, frauenverachtenden und homophoben Aussagen geprägt wurden. Allerdings sind hier nicht immer Aussagen im Sinne eines Gesprächs gemeint. Es handelt sich dabei auch um Betitelungen von Geschäften, Lebensmitteln und Diversem, die vor über 100 Jahren festgelegt wurden. Aber auch Erscheinungsbilder scheinen den Vertretern der Cancel Culture auf den Magen zu schlagen. Stichwort: Dreadlocks.

Namensänderungen aus Solidarität

Erst war das Gesundheitswesen dran: etliche Apotheken wurden umbenannt, weil sich irgendjemand von einigen Namen, die zugegeben aus heutiger Sicht bedenklich sind, gestört gefühlt hat. Dann erwischte es bekannte Knabber-Räder und anderes Naschzeug: Namen wurden geändert – es wurde sich entschuldigt. Bei wem genau, lässt sich immer noch nicht feststellen. Am Ende wurden die liberalsten Menschen überhaupt des Rassismus beschuldigt: weiße Musiker mit Dreadlocks. Ernsthaft? Und als ob das nicht genug wäre, soll nun auch die Literatur leiden: Winnetou soll aus der Welt der Kinder verbannt werden. Wo endet dieser Diskurs?

Bye Bye Winnetou

Karl May hätte das sicher nicht gedacht. Sein Werk wird verboten und als kulturelle Aneignung abgetan. Dabei beschrieb May in seinen Werken die Ausbeutung der Ureinwohner Amerikas ganz genau. Er schlug sich literarisch auch auf die Seite der Indianer und war, seinen Werken nach zu urteilen, sicher keine rassistisch angehauchte Persönlichkeit. Trotzdem gibt es Menschen, die sich angegriffen fühlen, weil ein Mann der seit über 100 Jahren tot ist, eine erfundene Kindergeschichte über die indigenen Völker Nordamerikas schrieb.

So sollte es auch keinen wundern, dass die berühmtesten Schriftsteller aller Zeiten aus Universitäts-Leselisten in ganz England gestrichten wurden. Ja, das ist soeben passiert. Für britische Studenten gibt es ab sofort kein Charles Dickens und schon gar keinen William Shakespeare mehr. Auch die weiblichen Pendants wie Jane Austen, Charlotte Brontë und Agatha Christie sind davon betroffen. Die Vorwürfe wiegen schwer: Grausamkeit gegen Tiere, Sklaverei und Suizid werden in den Büchern besprochen.

Enthält man einer ganzen Generation diese Art der Literatur, stellt sich die Frage, wie sie solche Themen sonst debattieren sollen. Bislang hieß es immer: „Vergangenheit sollte nicht vergessen werden.„, „Sie ist ein Teil von uns.„, „Andere Generationen können aus der Vergangenheit lernen.“ – wie soll das möglich sein, wenn alles verboten und umbenannt wird, das früher einen ideellen Wert hatte und heute nur ein Augenrollen hervorbringt? Woraus sollen Kinder lernen, wenn nicht aus der Vergangenheit? Sollen sie die Fehler erneut machen? Toller Plan…

Nazi-Autobahn

Gehen wir einen Schritt weiter. Reißen wir die Autobahn nieder. Weshalb? Die wurde doch von Nationalsozialisten geplant und errichtet. Und soviel man weiß, steht Wiederbetätigung in Österreich unter Strafe. Also machen sich alle, die auf der Autobahn fahren, strafbar? Soll die Cancel Culture so enden? In einer Abrissbirne, die die Welt grundlegend verändert? Eine kinderfeindliche Welt ohne Rassismus stellt sich jeder gerne vor. Realistisch ist das nicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht damit beginnen alles was uns (auch in unserer Kindheit) geprägt hat, zu löschen und zu ersetzen. Denn das könnte auch nach hinten losgehen.