REPORTAGE

Luftangriffe 1999: Uranbombardement verseucht Serbien

Abgereichertes Uran verseucht Serbien (FOTO: Getty Images, iStock)

Dr. Srđan Aleksić, Rechtsanwalt aus Niš, hat gegen die NATO Klage aufgrund der Folgen eingebracht, die die Bombardierung mit Projektilen, die mit abgereichertem Uran gefüllt waren, 1999 hervorgerufen hat.

Abgereichertes Uran entsteht in Atomkraftwerken als Nebenprodukt von Uran 238 bei der Stromerzeugung. Seine Lagerung ist für die Länder, die Atomkraftwerke betreiben, sehr teuer. Darum kam man in den USA auf die Idee, das abgereicherte Uran zur zusätzlichen Verstärkung der Explosions- und Durchschlagskraft von Munition einzusetzen, die bei Kriegshandlungen die Panzerung von Militärfahrzeugen durchschlagen soll. Diese Projektile produzierten die Amerikaner erstmals in 1970-er Jahren, und in einer Basis in Angel in Kalifornien wurden 1978 Studien zu ihrer Wirkung auf die menschliche Gesundheit durchgeführt.

Die Ergebnisse waren sehr klar und alarmierend! Denn wenn Projektile, die 372 Gramm abgereichertes Uran enthalten, auf die Panzerung eines Militärfahrzeugs oder auf irgendein anderes Metall treffen, wird eine Temperatur zwischen 3.000 und 5.000 Grad freigesetzt. In diesem Moment entsteht Uranstaub, der sich mit Schwermetallen verbindet, die für lebende Organismen ausgesprochen toxisch sind (Quecksilber, Kupfer, Blei). Wenn ein Soldat diese Verbindung einatmet, werden ca. 70 % wieder ausgeschieden, aber der Rest lagert sich in Weichgewebe und Knochen ab und nach fünf bis zehn Jahren, wenn das Immunsystem schwächer wird, kommt es zum Ausbruch kanzerogener Erkrankungen. Als italienische Soldaten, die im Kosovo stationiert gewesen waren, nach 1999 zu erkranken begannen, kam das Institut für Nanotechnologie in Rom zu demselben Ergebnis. Der Abbau von abgereichertem Uran dauert 4,5 Milliarden Jahre und man kann sagen, dass die Kontaminierung eines Geländes damit für immer andauert.

Klage gegen die NATO
Der Doktor der Rechtswissenschaften Srđan Aleksić, der auch außerordentlicher Fakultätsprofessor ist, arbeitet seit 30 Jahren als Rechtsanwalt. Seine Anwaltskanzlei hat kürzlich im Namen von Offizieren, Soldaten, Polizisten und militärischen Reservisten, die während des NATO-Bombardements der SR Jugoslawien im Kosovo stationiert waren und anschließend an Krebs erkrankt sind, beim Obersten Gericht in Belgrad Klage gegen die NATO eingebracht.

KOSMO: Wie begann Ihr Kampf, der sehr an den zwischen David und Goliath erinnert?
Dr. Srđan Aleksić: Mein Geburtsdorf Buštranje in der Gemeinde Preševo wurde während des Angriffs 1999 täglich mit Projektilen beschossen, die mit abgereichertem Uran gefüllt waren. Meine Eltern bekamen nach dem Ende der Kriegshandlungen Probleme mit der Gesichtshaut. Bei meiner Mutter trat später ein Knochenkarzinom auf und sie starb unter großen Qualen. Mein Vater konnte die Krankheit besiegen, aber viele meiner Verwandten in dem Dorf starben an Karzinomen. Mir war klar, dass all das mit den Bomben zu tun hatte, und später hat die NATO zugegeben, dass sie Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt hatte. Auf mein Dorf und die Nachbardörfer wurden, so wie auch auf die Pljačkovica bei Vranje, ca. zwei Tonnen dieser Projektile abgefeuert, während auf Kosovo und Metohija weitere 13 bis 15 Tonnen niedergingen.

Dr. Aleksić: „In meiner Kanzlei haben sich bisher über 2.500 Menschen gemeldet.” (FOTO: zVg.)

Wie haben Sie erfahren, dass abgereichertes Uran eingesetzt wurde?
Ich möchte betonen, dass sich mein Dorf durch eine absolut saubere Natur auszeichnet. Industrie und Chemie sind dorthin noch nicht vorgedrungen. Die Menschen dort waren langlebig, aber nach 1999 änderte sich das. Zufällig habe ich 2015 durch einen Kollegen von den Fällen der italienischen Soldaten bzw. von den beiden Urteilen eines römischen Gerichts erfahren. Ich habe das alles untersucht und dabei ist mir ein Licht aufgegangen, denn alles stimmte mit den Fällen in meinem Dorf überein. Auch der Ort Hadžići in Bosnien-Herzegowina wurde 1995 mit abgereichertem Uran bombardiert und später bekamen viele Einwohner Krebs. Über dieses Balkansyndrom, wie es genannt wird, wurde kaum gesprochen.

Welches waren die größten Verbrechen der NATO-Allianz?
Die Bombardierung mit Projektilen mit abgereichertem Uran verletzte die Regeln des Krieges, die durch internationale Konventionen und internationales Recht definiert sind. Denn ein Krieg darf der Zivilbevölkerung keine Leiden zufügen und auch die Zerstörung der Umwelt ist nicht erlaubt, aber all das wurde im Falle des NATO-Angriffs getan. Die Weltgesundheitsorganisation, die sich mit der Erforschung kanzerogener Erkrankungen beschäftigt, hat aufgrund von Fällen aus Lyon ebenfalls das Auftreten bestimmter Krebsarten bestätigt: Leukämie sowie Tumore des Gehirns, der Lunge, der Schilddrüse, der Knochen und der Hoden. In Serbien sind auch die Fälle von Sterilität bei Männern um 100 % gestiegen.

Soldaten aus dem Ausland, die im Kosovo waren, wurden auf das „Balkan-Syndrom untersucht”. (FOTO: Getty Images)

Sie haben die italienischen Soldaten erwähnt. Was ist bei ihnen passiert?
In Italien sind 7.600 Soldaten erkrankt und 400 haben den Kampf um ihr Leben verloren. Bisher wurden in Italien 181 rechtskräftige und vollstreckbare Urteile gefällt, bei denen sich der Schadenersatz zwischen 700.000 und einer Million Euro pro Soldat oder Zivilist bewegt. Dieser wird vom italienischen Verteidigungsministerium gezahlt, denn diese Soldaten waren in Bosnien-Herzegowina und in Kosovo und Metohija stationiert, aber sie hatten keine entsprechende Schutzausrüstung, haben kontaminiertes Essen gegessen und Wasser getrunken und blieben von der Krankheit nicht verschont. Die Urteile in Italien wurden vom dortigen Obersten Gerichtshof bestätigt und in Rom wurde ein Gesetz erlassen, dass jemand, der sich 30 Tage in Kosovo und Metohija aufgehalten hat und später erkrankt, Anspruch auf eine kostenlose Behandlung, Schadensersatz und Unterstützung seiner Familie hat. Wir haben auch ein Urteil für einen französischen Gendarmen, der im Kosovo war und dem für seine geschädigte Gesundheit Schadenersatz gezahlt wurde. Das heißt, wir haben zwei Länder, beide NATO-Mitglieder, in denen vor verschiedenen Gerichten in der Frage des abgereicherten Urans eine Ursache-Wirkung-Beziehung nachgewiesen wurde.

Wer ist bei dieser Klage Ihr erster Mandant?
Ich habe Klage eingebracht im Namen eines geschädigten Angehörigen der Jugoslawischen Armee, eines Oberst, der 201 Tag in einem Zelt in der Sicherheitszone und auf dem Berg Pljačkovica bei Vranje verbracht hat. Das ist das Gebiet im Süden Serbiens, das am drastischsten mit abgereichertem Uran verstrahlt wurde. In den letzten beiden Jahren hatte er drei große Operationen, denn er kämpft gegen eine schwere Form von Karzinomen der inneren Organe. Seine Medikamente kosten monatlich ca. 4.000 Euro und werden von der Krankenversicherung nicht bezahlt. Wie soll er die bezahlen, wenn sein Monatslohn nur 100.000 Dinar beträgt?

Wird es noch weitere Klagen geben?
Mein Team wird weitere Klagen im Namen von Soldaten, Polizisten und Zivilisten einbringen, bei denen ein Ursache-Wirkung-Verhältnis zum abgereicherten Uran festgestellt wird. Für den Anfang haben wir Militärangehörige gewählt, um dasselbe Rechtsverhältnis und dieselbe rechtliche Situation zu haben wie bei den italienischen und französischen Soldaten. In meiner Kanzlei haben sich bisher über 2.500 Menschen aus Zentralserbien und Kosovo und Metohija gemeldet. Darunter sind auch Albaner, Zivilisten aus dem Kosovo, aber für sie ist die Situation viel schlechter, denn dieses Gebiet wurde mit abgereichertem Uran geradezu zugeschüttet. Schadenersatzforderungen können auch die Hinterbliebenen von Verstorbenen stellen, obwohl wir im Moment nur im Namen unserer lebenden Landsleute Klage erheben. Von kranken Mitbürgern können Blutproben, Biopsie-Befunde und alles genommen werden, was zur Beweisführung in dem Verfahren benötigt wird.

Dr. Aleksić: „Die Bombardierung mit Projektilen mit abgereichertem Uran verletzte die Regeln des Krieges, die durch internationale Konventionen und internationales Recht definiert sind.“

Sind die Urteile aus Belgrad in den NATO-Ländern rechtswirksam?
Ich habe überlegt, die Verfahren vor Gerichten der NATO-Mitgliedsländer zu führen, die uns bombardiert haben, aber das war nicht möglich. Das haben wir anhand von Klagen von Verwandten von Journalisten gesehen, die in dem Bombardement gestorben sind. Angeblich waren weder das Gericht in Italien noch das in Straßburg zuständig, denn es handelte sich nicht um italienische Staatsbürger. Dasselbe traf auf eine Klage in Deutschland wegen der Tötung der kleinen Milica Rakić zu. Daraus haben wir geschlossen, dass wir den Prozess nur vor einem Gericht in Serbien führen können und dass die Urteile in den Mitgliedsländern der NATO rechtswirksam sein würden.

Wie könnten diese Prozesse andernfalls enden?
Wir haben bei der Klage auch Raum für eine Mediation gelassen, d.h. für einen Vergleich mit der beklagten Partei. Unser Ziel ist nicht, neue Probleme mit der NATO zu verursachen, sondern einen grundsätzlichen Schutz der Menschenrechte in Serbien so wie überall auf der Welt durchzusetzen. Wir wollen Gerechtigkeit für die Bürger Serbiens, so wie sie die Soldaten in Italien und Frankreich bekommen haben. Dass wir uns richtig verstehen: Wir behaupten nicht, dass alle in Serbien aufgrund von abgereichertem Uran an Karzinomen erkrankt sind, aber bei einem Teil der Erkrankten ist die Herkunft der bösartigen Krankheit absolut nachweisbar.

Dr. ALEKSIĆ: „Unser Ziel ist nicht, neue Probleme mit der NATO zu verursachen, sondern einen grundsätzlichen Schutz der Menschenrechte in Serbien so wie überall auf der Welt durchzusetzen.“

Haben Sie sich auch an irgendeine internationale Organisation gewandt?
Für alle 2.500 Menschen, die mir ihre medizinische Dokumentation geschickt haben, habe ich mich an das Menschenrechtskomitee in Genf gewandt. In diesem Zweig der UN arbeiten sechs unabhängige Forscher, und die fordere ich über die Medien auf, nach Serbien zu kommen und meine Mandanten zu besuchen, um meine Behauptungen zu überprüfen. Leider sind sie bisher nicht darauf eingegangen.

Hat die Kontaminierung der Natur einen Einfluss auf Serbiens Weg in die EU?
Auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft muss Serbien auch bestimmte ökologische Standards erfüllen. Derzeit frage ich mich zu Recht, wie wir das schaffen können, wenn einige Mitglieder des vereinigten Europa unseren Staat so schrecklich verseucht haben! In dem Zustand, den wir derzeit haben, erfüllt Serbien die strengen Kriterien für die Aufnahme in die Gemeinschaft der Auserwählten, die sich so sorgsam um ihre Natur kümmern, nicht. Da sind wir um 4,5 Milliarden Jahre zurückgeworfen.

Ökozid – ein Verbrechen gegen die Natur
Über die Verunreinigung von Wasser, Land und Luft, die eine Folge der Bombardierung mit abgereichertem Uran ist, sprach KOSMO mit Dr. Velimir Nedeljković, Professor an der Universität Niš.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.