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Nostradamus

Prophezeiungen des Pestarztes: Hat Nostradamus den Tod des Papstes vorausgesagt?

(FOTO: iStock)

Vom Pestdoktor zum Propheten: Nostradamus‘ rätselhafte Verse faszinieren seit Jahrhunderten – und erleben nach dem Tod des Papstes einen neuen Popularitätsschub.

Michel de Nostredame, besser bekannt als Nostradamus, behandelte als französischer Arzt Pestkranke, bevor er sich als Amateurastrologe einen Namen machte. Sein 1555 veröffentlichtes Werk „Prophezeiungen“ enthält 942 rätselhafte Vierzeiler, die angeblich künftige – meist katastrophale – Ereignisse vorhersagen sollten.

Das 16. Jahrhundert war für die meisten Europäer eine Zeit extremer Herausforderungen: Kriege, Hungersnöte und die in den Städten grassierende Pest prägten den Alltag. In dieser chaotischen Epoche boten Nostradamus‘ düstere Prophezeiungen paradoxerweise nicht nur Warnungen, sondern auch eine Form des Trostes. „Die kollektive Angst saß damals sehr tief“, erklärt Michelle Pfeffer, Historikerin für Wissenschaft und Religion an der Universität Oxford.

„In Phasen großer Verunsicherung suchen Menschen nach Antworten und Orientierung – und nach der beruhigenden Gewissheit, dass hinter allem ein höherer Plan steht.“

Die Astrologie, heute als Pseudowissenschaft eingestuft, erlebte im 16. Jahrhundert eine regelrechte Blütezeit. Allerorts eröffneten Einrichtungen, in denen Sternendeuter Rat zu Karriere, Liebe und Gesundheit anboten. Nostradamus gehörte zu diesen Astrologen und betrieb ein beliebtes Beratungszentrum, wo er die Horoskope der Wohlhabenden und Mächtigen deutete. Da er jedoch nie eine formelle astrologische Ausbildung absolvierte – damals durchaus eine akademische Disziplin – betrachteten ihn manche Zeitgenossen als Scharlatan. Dennoch entwickelten sich seine knappen, rätselhaften Verse zu regelrechten Bestsellern.

Jahrhunderte später behaupten Anhänger, Nostradamus habe zahlreiche historische Großereignisse vorhergesagt: beide Weltkriege, die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, Hitlers Aufstieg und sogar die COVID-19-Pandemie – obwohl er keines dieser Ereignisse konkret benannte. „Nostradamus‘ Prophezeiungen sind in derart vagen Formulierungen verfasst, dass sie auf nahezu jede Situation anwendbar sind“, betont Joelle Rollo-Koster, Professorin für mittelalterliche Geschichte an der Universität Rhode Island.

„Was unbestimmt, zweideutig und unklar bleibt, kann jeder nach eigenem Gutdünken interpretieren.“

Moderne Interpretationen

Nach dem Tod von Papst Franziskus verzeichneten Suchmaschinen einen sprunghaften Anstieg bei Anfragen zu dem französischen Astrologen aus dem 16. Jahrhundert. Es ist nicht das erste Mal, dass seine Prophezeiungen während weltbewegender Ereignisse verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Eines seiner notorisch vieldeutigen Gedichte spricht vom „Tod eines sehr alten Pontifex“ – was in sozialen Medien und Internetforen prompt mit dem Ableben von Papst Franziskus in Verbindung gebracht wurde.

Allerdings sind seit 1555 Dutzende Päpste verstorben, was die Frage aufwirft, warum sich diese Prophezeiung ausgerechnet auf den aktuellen Papst beziehen sollte.

⇢ Hat Nostradamus den Tod des Papstes vorhergesagt?

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schossen Bücher über Nostradamus in den Bestsellerlisten nach oben, da viele Anhänger behaupteten, er habe diese Ereignisse vorausgesehen. Die New York Times berichtete damals über eine kursierende E-Mail, die Fragmente verschiedener Nostradamus-Verse mit frei erfundenen Passagen vermischte, um einen dramatischen Text zu konstruieren.

Diese Collage suggerierte eine Vorhersage der Anschläge mit Worten wie: „Feuer nähert sich der großen neuen Stadt/In der Stadt York wird es große Zerstörung geben.“

Im deutschsprachigen Raum ist dieses Phänomen ebenfalls zu beobachten: Nach jedem größeren politischen oder gesellschaftlichen Umbruch – sei es der Tod von Queen Elizabeth II. oder während der COVID-19-Pandemie – verzeichneten Nostradamus-Bücher deutliche Verkaufsspitzen. Besonders in Krisenzeiten berichten österreichische und balkanische Medien verstärkt über angebliche Nostradamus-Prophezeiungen, wobei regelmäßig Versatzstücke seiner Verse genutzt werden, um aktuelle Ereignisse zu deuten.

Auch andere päpstliche Prophezeiungen tauchten erneut im Internet auf. Die dem Heiligen Malachias zugeschriebene „Prophezeiung der Päpste“ wird von manchen so gedeutet, dass Papst Franziskus das letzte Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche sein könnte. Experten bezweifeln jedoch die Authentizität dieses Textes und vermuten politische Motive hinter seiner Entstehung.

„Prophezeiungen üben eine faszinierende Anziehungskraft aus, und manche Menschen neigen dazu, Dingen jenseits des rationalen Denkens Glauben zu schenken – das liegt in unserer Natur“, erläutert Joseph Uscinski, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Miami.

„Manchmal führt Unterhaltung zu bestimmten Überzeugungen, und manchmal übernehmen Menschen einfach Ideen, die angenehm oder tröstlich erscheinen.“

Zeitlose Faszination

Heutzutage suchen die wenigsten Menschen nach den Originaltexten des Sehers, sondern stoßen eher in Internetartikeln oder Social-Media-Memes auf seinen Namen. Dank der „zeitlosen“ Qualität seiner Prophezeiungen – nur wenige enthalten konkrete Datumsangaben – verkaufen sich Interpretationen seiner Werke in enormen Stückzahlen. Allein auf Englisch existieren mehr als 100 verschiedene Titel.

Neuere Ausgaben, die Nostradamus‘ Vorhersagen mit aktuellen Weltereignissen verknüpfen, haben seinen Platz im kollektiven Bewusstsein des 20. Jahrhunderts gefestigt.

„In Krisenzeiten üben Astrologie und Zukunftsdeutungen, die verborgenes Wissen zu enthüllen versprechen, eine besondere Anziehungskraft aus“, resümiert Michelle Pfeffer.