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EXKLUSIV

Živorad Milošević: „Das Jugendamt hat Mitschuld am Tod meiner Töchter!“

Was passierte dann?
Obwohl ich vorgeschlagen hatte, Vesna und den Kindern unsere Wohnung zu überlassen, wurde das abgelehnt, und sie erhielten nach dem Auszug aus dem Frauenhaus eine Unterkunft, deren Adresse und Telefonnummer vor mir geheim gehalten wurden, denn ich hatte noch immer Kontaktverbot mit den Kindern. Ich versuchte überall, herauszufinden, wo meine Kinder waren, in welche Schule sie gingen, ob es ihnen gut ging… aber vergebens. Ich zahlte die ganze Zeit über einen Anwalt, aber es kamen nur negative Antworten. Meine einzige Verbindung zu den Kindern waren die Unterhaltszahlungen von 800 Euro. In dieser Zeit meldete sie unsere 16-jährigen Töchter von der Schule ab und isolierte sie komplett von anderen Menschen, was ich zufällig von einer Nachbarin von Vesnas Eltern in Serbien erfuhr. Als ich das Jugendamt fragte, warum dagegen nichts unternommen wurde, war die Antwort, dass die Mittelschule keine Pflichtschule sei. Ich bat auch das Zentrum für Sozialarbeit in Serbien um Hilfe, aber die kontaktierten das Jugendamt und lehnten meine Bitte ab.

JUGENDAMT. „Sein gefährliches Spiel hat mit dem Tod meiner Kinder und ihrer Mutter geendet.“

– Živorad Milošević

Wie oft haben Sie Ihre Töchter zwischen Oktober 2013 und Mai 2019 gesehen?
Einmal vor der Schule, als ich ihnen Dokumente brachte. Sie nahmen die Papiere, schauten zu Boden und gingen. Ein anderes Mal trafen wir uns zufällig auf der Straße. Sie waren mit ihrer Mutter und blieben nicht stehen, und mir brach der Anblick wieder einmal das Herz.

Wie konnte es passieren, dass Vesna und Ihre Töchter verhungerten, obwohl sie genügend Geld bekamen?
Sie hatten ca. 750 Euro Sozialhilfe (das Existenzminimum) bekommen, der Unterhalt hatte 800 Euro betragen und die Kinder hatten noch das Kindergeld bezogen. Aber als Tanja und Suzana am 2. Februar 18 Jahre alt wurden, erhielten sie den Unterhalt und das Kindergeld nicht mehr und sie verloren auch die Krankenversicherung, denn sie waren keine Schülerinnen mehr. Damals hoffte ich, sie würden mich aufsuchen, sodass ich endlich eine Kommunikation mit meinen Kindern herstellen konnte, und ich war bereit, mich auch weiterhin an der Finanzierung ihrer Bedürfnisse zu beteiligen. Leider meldeten sie sich nicht, und ich nehme an, dass ihre Mutter das so entschieden hatte und damit sich selbst und die Kinder zum Tode verurteilte. Nachbarn behaupten, dass Vesna unsere Töchter geschlagen habe, dass sie versucht hätten, zu flüchten, dass sie sie aber zurückgeholt und eingesperrt habe. Natürlich weiß das Jugendamt davon nichts, denn in den letzten beiden Jahren hat niemand von ihnen meine Kinder besucht. Mir wurde verboten, Vater zu sein, und die Mädchen wurden ihrer schwer kranken Mutter überlassen.

Živorad Milošević
„Sechs Jahre habe ich um die Kinder gekämpft. Mir wurde nicht erlaubt, sie zu sehen, und dann wurden sie mir tot übergeben.“ (FOTO: KOSMO)

Wie und wann spielte sich der letzte Akt dieses Dramas ab?
Vesnas Vater rief am Sonntag, den 19. Mai, aus Serbien bei meiner Schwester an und sagte, dass er seit zwei Monaten keinen Kontakt mehr mit seiner Tochter und den Enkelkindern hatte und fürchtete, dass etwas Schreckliches passiert sei. Meine Schwester fragte ihn nach der Adresse und Telefonnummer, rief mich an und wir fuhren sofort dorthin. Wir klopften an die verschlossene Tür, riefen an, aber vergebens. Wir klingelten auch beim Nachbarn, und auch der sagte uns, er habe sie lange nicht gesehen. Unsere nächste Station war die Polizei. Wir baten sie, zu überprüfen, ob sie übersiedelt oder verreist seien. Die Antwort war, dass meine Töchter volljährig seien und das Recht hätten, zu entscheiden, bei wem sie sich melden wollten. Am folgenden Tag rief Željka Dragić, eine Freundin der Familie, den ganzen Tag beim Jugendamt an, denn mit mir wollten sie nicht reden. Die schwerste Nachricht meines Lebens erhielt ich von der Polizei am 21. Mai.

Sie mussten damit umgehen und viele Entscheidungen treffen.
Ich weiß nicht, wie ich das überlebt habe, und ich weiß auch nicht, wie ich jetzt lebe. Ich habe mich entschieden, meine Töchter in Wien zu begraben, wo ich ein Grab gekauft habe. Vesnas Eltern wollten, dass ich sie ihnen übergebe, aber das habe ich abgelehnt, denn zumindest im Tode gehören sie zu mir. Dann forderten sie, dass ich die Überführung von Vesnas sterblichen Überresten zur Beerdigung nach Serbien zahlen sollte, was ich auch abgelehnt habe. Wir waren geschieden, diese Ehe hat mir das Leben zur Hölle gemacht, und ihre Eltern haben daran mitgewirkt. Ich kann ihnen mein zerstörtes Leben und meine toten Kinder nicht verzeihen! Sechs Jahre lang habe ich um sie gekämpft, sie haben mir nicht erlaubt, sie zu sehen, und dann haben sie sie mir tot übergeben.

Wie erklären Sie sich Vesnas schreckliche Entscheidung, mit den Kindern in den Tod zu gehen?
Ich nehme an, dass der Auslöser am Ende finanzieller Natur war. Als sie nur noch ihre Einkünfte hatten, hat ihre Krankheit den Verstand wahrscheinlich ganz ausgeschaltet, denn sie konnten die Rechnungen nicht mehr bezahlen und Essen kaufen. Da entschied sie sich für die schreckliche Option, dabei hätten mich meine Töchter nur anrufen und um Geld bitten müssen. Dann wären sie heute sicher noch am Leben.

Werden Sie das Jugendamt klagen?
Für einen solchen Prozess, den es sicherlich verdient hätte, fehlt mir das Geld. Ich habe keinen Cent mehr, ich habe alles für Vesnas Krankheit und später für den Kampf um die Kinder und die Beerdigung ausgegeben. Aber ich erkläre auf diesem Wege, dass ich das Jugendamt, seine Psychiater und das Frauenhaus des Todes meiner Kinder beschuldige. Vesna beschuldige ich nicht, denn sie war krank und wusste nicht, was sie tut.

„Tanja hatte auf ihren Arm geschrieben: Brot, Mehl, Erbsen… Wer so etwas schreibt, wollte sicher nicht verhungern.“

– Živorad Milošević

Haben Sie Ihr Leben trotz des Kampfs gegen Windmühlen neu einrichten können?
Nein. Mein ganzes Leben ist von Vesna geprägt, zuerst die Liebe, dann ihre Krankheit, die Trennung von den Kindern und mein Kampf um sie. Mir ist nie in den Sinn gekommen, über eine neue Partnerin nachzudenken, denn ich habe gehofft, dass meine Kinder zurückkommen würden. Daneben gab es für mich gar nichts. Wissen Sie, meine Töchterchen haben ein paar Wochen vor dem Auszug ins Frauenhaus eine Katze bekommen. Die ist bei mir geblieben, ich habe sie noch heute und sie ist das einzige Lebendige von Suzana und Tanja in meinem Zuhause.

Željka Dragić, eine Freundin der Familie
Frau Dragić ist eine sehr enge, langjährige Freundin von Živorads Schwester Ljiljana und war auch mit dem Ehepaar Milošević befreundet, denn ihr Sohn Benjamin verstand sich gut mit deren Kindern. Sie ist Zeugin der neuesten Ereignisse.

Haben Sie das Jugendamt angerufen, als Sie erfahren haben, dass Vesna und die Mädchen verschwunden waren?
Željka: Ja, ich habe sie ständig angerufen und gebeten, mir zu sagen, was sie wissen. Die Information, dass sie schon seit zwei Jahren keinen Kontakt zu ihnen hatten und dass die Mädchen am 2. Februar 18 Jahre alt geworden waren und damit kein Fall mehr für sie seien, klang vernichtend. In der Zwischenzeit meldete sich Vesnas Vater wieder und erzählte mir, dass Vesna in einem der letzten Gespräche gesagt hatte, dass Suzana sie in der Wohnung einsperrte, und dass die Enkelin ihm erklärt hatte, er würde sie niemals lebend wiedersehen. Hätte er sich damals gleich gemeldet, hätte die Tragödie vielleicht verhindert werden können.

Živorad Milošević
Željka Dragić. „Ich habe das Jugendamt angerufen und gebeten, mir zu sagen, ob sie etwas wissen. Die Information, dass sie seit zwei Jahren keinen Kontakt zu ihnen hatten, klang vernichtend.“ (FOTO: KOSMO)

Was passierte danach?
Da die Polizei am 19. Mai auf Živorads Anzeige nicht reagiert hatte, rief ich sie am 21. Mai an und sagte, dass drei Personen verschwunden seien und ich fürchtete, dass sie tot sind. Ich bestand darauf, dass es ihre Pflicht sei, darauf zu reagieren. Sie empfahlen mir, die Nummer 133 zu wählen und meine Befürchtung zu wiederholen, was ich auch tat. Zwei Stunden später riefen sie mich an und sagten mir, dass sie vor Vesnas Tür standen und in die Wohnung eindringen würden, und beim nächsten Anruf wurde mir erklärt, dass man mich befragen müsse. Der letzte Satz machte mich fertig, denn meine Gesprächspartnerin fragte, ob ich dabei war, als man sie fand. Ich erzählte das alles Živorads Schwester in der Hoffnung, sie seien lebend gefunden worden. Živorad, seine Schwester und ich gingen gemeinsam zur Polizei, damit ich meine Aussage machen konnte. Ich erzählte alles, was ich wusste, und dann riefen sie auch Živorad herein. Von der Tür aus sagte er ihnen, er hätte keine Kraft mehr, und bat sie, ihm nur zu sagen, wo seine Kinder sind. Dann boten ihm zwei Inspektoren einen Stuhl an und die Frau, die das Gespräch führte, erklärte, dass alle drei tot waren.

Haben Sie die Verstorbenen identifiziert?
Ja, denn der Vater und die Tante hätten diesen schrecklichen Anblick nicht überlebt. Sie fragten mich, ob Tanja die Angewohnheit hatte, sich Dinge auf die Arme zu schreiben, und dann zeigten sie mir Bilder ihres Armes, auf dem geschrieben stand: Brot, Mehl, Erbsen. Der Rest der Liste war unlesbar. Wer so etwas geschrieben hat, wollte sicher nicht verhungern. Allem Anschein nach waren die Mädchen jede in einem anderen Zimmer eingesperrt und in der Wohnung gab es kein Krümelchen Essen. Komisch ist, was die Nachbarn erzählt haben, dass Vesna behauptete, die Kinder hätten eine psychische Störung. Das stimmt nicht! In Wirklichkeit hatten sie sich in der Schule nicht als gute Schülerinnen ausgezeichnet, aber das ist vor dem Hintergrund der familiären Situation normal. Glauben Sie mir, vor dem Auszug ins Frauenhaus waren sie glückliche Kinder! Ich habe sie jeden Tag gesehen und sie haben mir nie erzählt, dass der Papa böse zu ihnen und der Mama war. Sie sind immer voller Freude auf Živorad zugelaufen, wenn er von der Arbeit kam. Das machen misshandelte Kinder nicht.

GLAUBEN SIE MIR! „Vor dem Auszug ins Frauenhaus waren Suzana und Tanja glückliche Kinder!“

Haben Sie Informationen über die Fortsetzung dieser traurigen Geschichte?
Ja, in die Klärung des Falls hat sich auch die Volksanwaltschaft eingeschaltet. Živorads Anwalt hat ihnen die gesamten Unterlagen übergeben und ich glaube, dass man die Verantwortung der staatlichen Institutionen untersuchen wird. Tanja und Suzana kann man nicht mehr helfen, aber vielleicht hilft es, um andere Kinder zu schützen.

Stellungnahme der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (des Jugendamts)
Die erschütternde Geschichte von Živorad Milošević hat uns bewogen, dem Jugendamt und der Polizei einige Fragen zu stellen. Von der Polizei haben wir leider nur die Antwort bekommen, dass sie keinerlei Hinweise auf eine Gefährdung hatten, als Živorad am 19.5.2019 bei ihnen war.

KOSMO: Sie haben die Befunde des Psychiaters erhalten, in denen stand, dass Vesna Milošević an Schizophrenie litt und regelmäßig Medikamente nehmen musste. Dennoch haben Sie behauptet, bei Ihr keine Anzeichen einer Erkrankung wahrzunehmen. Auf welcher Grundlage?

Wiener Kinder- und Jugendhilfe: Jede Krankheit kann sich auf verschiedene Weise äußern. In manchen Fällen treten die Symptome periodisch auf, manchmal nur einmalig. Die Schwere der Erkrankung kann ebenfalls unterschiedlich sein. Wenn Eltern an einer Krankheit leiden, dann beobachten wir deren Entwicklung. Wenn es sich um eine schwerere Erkrankung handelt, dann untersuchen wir, ob und wie sehr die Krankheit die Obsorge- und Erziehungsfähigkeit beeinträchtigt. Unsere Einrichtung untersucht den Einfluss von Krankheiten auf die Elternschaft ausnahmslos und wir betrachten jeden Fall individuell. Die Untersuchung der Situation erfolgt auf mehreren Ebenen: im Gespräch mit Fachleuten (Psychologen, Pädagogen usw.) sowie auch durch den Aufenthalt in Einrichtungen, wo die Person fachliche Hilfe erhält. Für die Untersuchung der elterlichen Fähigkeiten sind mehrere Zentren für den Schutz von Kindern und Jugendlichen zuständig sowie auch Psychologen, Pädagogen usw. Man muss dazusagen, dass die endgültige Entscheidung über die Obsorge nicht von uns, sondern vom erstinstanzlichen Gericht getroffen wird. Wir sind nur einer von mehreren Begutachtern, die dem Gericht ihre Beobachtungen und Bewertungen vorlegen. Unsere Bewertungen gründen sich immer auf das Vier-Augen- und das Hierarchieprinzip. Das heißt, dass keine einzige Beurteilung von nur einer Person alleine vorgenommen wird, sondern immer von einem ganzen Expertenteam, das auch externe Fachleute (Ärzte, Psychologen usw.) umfasst.

Warum hat Ihr Amt die ärztlichen Befunde und Bewertungen nicht berücksichtigt?
Das hat es natürlich getan. Wir nehmen jeden fachärztlichen Befund sehr ernst. Aufgrund dieser Befunde beurteilen wir dann, ob ein Elternteil fähig ist, seine Pflichten zu erfüllen oder nicht und wie sich die Krankheit auf die ganze Familie auswirkt.

Aufgrund welcher Beweise haben Sie den Vater der Mädchen, Živorad Milošević, als Schuldigen benannt?
Die Entscheidung darüber, wer schuld ist und wer nicht, trifft das Gericht. Wir kümmern uns nur um die Personen, für die wir zuständig sind, und das sind die Kinder. Die Fragen ihres psychischen Zustands und Wohlergehens bilden die Grundlage für unsere Einschätzung der Situation.

Željka Dragić
„Die Polizei hat am 19. Mai nicht auf Živorads Anzeige reagiert. Darum habe ich ihnen am 21. Mai gesagt, dass ich fürchtete, dass sie tot sind.“ (FOTO: KOSMO)

Hat das Jugendamt eine umfassende Datenbank, aus der alles über den Fall von Vesna Milošević und ihren Kindern ersichtlich ist?
Ja natürlich. Unsere wichtigste Pflicht ist, die Akten zu überprüfen, um die Situation bestmöglich zu begleiten. Egal worum es sich handelt, ist jede Information von großer Bedeutung.

Wie konnte es passieren, dass niemand vom Jugendamt überprüft hat, wie die Mutter und die Kinder nach dem Auszug aus dem Frauenhaus lebten, da ja die Kinder damals noch minderjährig waren?
Nachdem sie das Frauenhaus verlassen hatten, wurden die Mutter und die Mädchen noch in einer Einrichtung für Mütter und Kinder untergebracht. Dort wurde der Mutter Hilfe bei der Verselbständigung angeboten, damit sie auf eigenen Füßen stehen konnte. Nachdem sie von dort ausgezogen waren, haben wir die Situation regelmäßig kontrolliert. Aber wenn sich eine Situation stabilisiert und die Anzeichen für eine Gefährdung verschwunden sind, sind wir gesetzlich gezwungen, uns nach einer gewissen Zeit zurückzuziehen. Aber selbst in diesen Momenten setzen wir die Frauen und die Kinder klar in Kenntnis, dass sie sich immer um Hilfe an uns wenden können. Frau Milošević hat die Einrichtung für Mütter und Kinder 2017 verlassen. Seitdem gab es keinerlei Anzeichen, dass die Situation nicht mehr unter Kontrolle war.