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INTERVIEW

Darko Ignjatović: „Blues ist stärker als Rock”

Glaubst du, dass die Soziologie dir geholfen hat, den Blues besser zu verstehen und zu spielen?
Absolut, denn mit der Soziologie hat man überhaupt keine Beschränkungen. Mit ihr kann man in der Musik viele anthropologische und humanistische Aspekte verbinden und die Menschen verstehen, die aus ihrer Kultur herausgerissen und in ein fremdes Land gebracht wurden, wo sie roh ausgebeutet wurden. Das ist eigentlich ein soziologischer Prozess. Und der Aufenthalt dieser Menschen in dem fremden Land unter unwahrscheinlich schweren Bedingungen hat diesen Grundblues hervorgebracht, denn es war nicht erlaubt, Instrumente zu spielen. Sie hatten nur ihre Stimme. Um die Gefühle dieser Menschen zu verstehen, muss man den breiteren Kontext kennen, den einem gerade die Soziologie bietet. Es ist ja auch bekannt, dass die Weißen den Blues niemals so spielen können wie die Schwarzen, denn sie haben nicht die Erfahrung dieses großen Schmerzes. Andererseits komme ich ja vom Balkan und glaube daher doch, dass selbst das möglich ist (lacht).

Wer hört heutzutage Blues?
Die meisten Menschen kennen heute Klassiker des Blues wie “Sweet home, Chicago”, aber natürlich gibt es nicht viele echte Blues-Kenner. Ich glaube, dass genau das auch der Grund ist, warum wir in Serbien auf so positive Reaktionen gestoßen sind, denn die Leute fanden es interessant, die unbekannten Blues-Klänge zu hören. Wir haben oft auch Bearbeitungen von Liedern anderer Genres gespielt und vielen hat diese Variante mehr gefallen. Was Österreich betrifft, gibt es in Wien, anders als in Niš, viele gute Musiker, denn es ist eine größere Stadt, und ich lerne fast täglich neue Musiker kennen. Ich hatte das Glück, mit einigen von ihnen zu spielen, und das ist sehr gut, denn dadurch sieht man, wie gut man ist, wo man sich einordnen muss und ob man unter ihnen einen Platz hat. Aber auch hier gibt es nicht gerade viele Blues-Bands. Ihnen allen fehlen ein wenig dieses Leben und die Emotionalität beim Spielen. Vielleicht deswegen, weil der Blues zu ihrem Beruf geworden ist, was für diese Art von Musik eigentlich verheerend ist. Blues kann man nicht mechanisch spielen. Außerdem spielen die meisten Bands fast dasselbe Repertoire, d.h. die typischen Klassiker des Blues, und da fehlt Kreativität. Blues zu verstehen und damit auch gut zu spielen, erfordert bestimmte Lebensumstände, die wir vom Balkan, zum Glück oder leider, viel besser verstehen können. Das Publikum ist aber glänzend und hat mehr Sinn für Blues als die Menschen in Serbien.

 

Was bedeutet die Musik für dich?
Mein ganzes Leben habe ich mit Musik verbracht, sodass ich mir ein Leben ohne sie einfach nicht vorstellen kann. Sollte ich irgendwann aufgrund familiärer oder beruflicher Verpflichtungen keine Zeit mehr haben zu spielen, werde ich Produktionen machen oder Bands aufnehmen, irgendetwas, was nicht so viel Zeit erfordert. Die Musik ist für mich vor allem Freude. Die Erfüllung des Bedürfnisses, meine Gefühle auszudrücken, Energien mit den anderen Menschen zu teilen, mit denen und für die ich spiele. Dieses ganze Gefühl von den Proben, den Konzertvorbereitungen, den Konzerten selber bis zum Zusammensein mit den Menschen ist für mich unersetzbar. Die Musik ist eine universale Sprache, mit der wir uns mit jedem Menschen verständigen können.

Viele meinen, dass die besten künstlerischen Werke aus der Trauer und dem Unglück entstehen, nicht aus dem Glück. Gilt das auch für den Blues und stimmst du dem auch zu?
Bis zu einem gewissen Grade stimme ich zu, denn beim Blues spürt man das Unglücklichsein besonders, eben wegen dieses Kontextes, aus dem er entstanden ist. Am Anfang habe ich, wenn ich meine eigenen Lieder geschrieben habe, immer nach komplexen und schweren Themen gesucht. Aber als ich reifer wurde, habe ich begriffen, dass der Blues ein Kontext ist, in den du fast alles hineinpacken kannst. Jetzt glaube ich nicht unbedingt, dass der Blues nur eine Musik der Trauer und der Melancholie ist. Es stimmt, dass er aufgrund seines Hintergrunds zum großen Teil so ist, aber als sich der Blues weiterentwickelt hat, sind auch andere Themen und Emotionen zum Ausdruck gekommen. Wenn ich ein Lied schreibe, schreibe ich über alles Mögliche, was mich in diesem Moment beschäftigt.

Was inspiriert dich am meisten?
Früher habe ich kontextuale Lieder geschrieben, d.h. Lieder über spezifische Dinge. In den letzten fünf, sechs Jahren finde ich in allem Inspiration, von der Taube auf der Straße bis zur globalen politischen Situation. Das betrifft sowohl die Musik als auch die Texte. Der Blues kennt keine Grenzen.

(FOTO: Igor Ripak)

Was machst du zuerst – den Text oder das Lied?
Das kommt drauf an. Wenn ich eine Idee im Kopf habe, dann schreibe ich zuerst den Text. Aber weil die Gitarre mein Hauptinstrument ist und weil ich mehr Gitarrist bin als Sänger, schreibe ich meistens zuerst die Musik. Während ich spiele, wenn ich einen neuen Teil der Musik komponiere, fällt es mir leichter, in meinem Kopf zu hören, welche Art Text dazu passen würde. Dann, wenn ich das mit der Idee in meinem Kopf verbinde, höre ich sogar auch die Wörter und die Verslänge. Am besten stellt man diese Idee dann in einer Probe seiner Band vor, denn bekommt man mehrere Standpunkte zu hören.

Was hältst du von Narodnjaci (Volksliedern)?
Mit 14 habe ich in einer Folk-Band gespielt. Ehrlich gesagt, so viel wie bei ihnen habe ich in keiner Rock’n’Roll-Band gelernt. Wenn Narodnjaci oder Ethno-Musik gespielt werden, ist jedes Bandmitglied Teil von etwas, das einem „höheren Zweck“ dient. Man spielt da nicht für sich selbst, sondern für andere. Beim Rock’n’Roll gibt es auch Bands, die diese Einstellung haben, aber da ist das Hauptziel, lauter und mächtiger zu sein. Bei den Narodnjaci muss man die Atmosphäre und die Dynamik des Liedes beachten und dementsprechend lauter oder leiser, schneller oder langsamer spielen. Dieser Zugang und die Veränderungen der Dynamik sind auch für den Blues sehr wichtig. Eigentlich ist Toma Zdravković unser erster Blueser. Sein ganzes Leben, die Übersiedelung aus einem Dorf bei Leskovac nach Belgrad, die Schwierigekeiten, Geld zu verdienen, das Komponieren eigener Lieder, was für die damalige Zeit in Serbien unerhört war, all das bietet den klassischen Hintergrund für Blues. Seine Lieder wie „Danka“ und „Jesen u mom sokaku“ sind, auch wenn sie den Sound der Volkslieder übernommen haben, im Grunde eigentlich Blues. Wenn wir das Lied „Dotakao sam dno života“ („Ich habe den Boden des Lebens berührt“), ins Englische übersetzen würden, bekämen wir einen hervorragenden Blues. Solche Volkslieder gibt es heute leider nicht mehr.

Autorin: Dušica Pavlović