Start Blog
Balkan Geschichte

Sarajevo: Der zweite Tod der bosnischen Seele

Vom Schimmel im Pferdestall

Der chronische Geldmangel macht sich auch an der Infrastruktur bemerkbar. Die Gebäude sind nicht groß genug, um auf Dauer alle Medien unterzubringen. Für einen neuen Medienspeicher fehlt das Geld.

„Das hier ist ein ehemaliger Pferdestall“, erklärt Bedita das ebenerdige langgezogene und schmale Gebäude, das wir betreten. „Hier lagern wir einen Teil unserer Periodika“.

Die Farbe blättert von Decken und Wänden. Nackte Glühbirnen sorgen für spärliches Licht. In den Ecken scheint es zu schimmeln.

Heizung oder Lüftung sind hier nicht zu sehen.

Sollten die Periodika je in ein wetterfestes Lager mit stabilem Klima übersiedeln, wird Hermin einiges an Arbeit haben.

Falls er bis dahin nicht in Pension ist.

Eine Stadtverwaltung bereichert sich

Vor allem das der Stadtverwaltung von Sarajevo. Ein paar tausend Euro im Jahr macht sie locker für die bedeutendste Bibliothek auf ihrem Gebiet. Und macht der NUB gleichzeitig ihren wertvollsten Besitz streitig.

Das ist die Vijećnica. Das prächtige neomaurische Gebäude am Ende der Altstadt, in dem die NUB von 1947 bis zum Brandanschlag von 1992 ihren Sitz hatte.

22 Jahre nach dem Brand wurde sie dank Millionenspenden der EU und aus Österreich, Spanien und Ungarn restauriert und mit Pomp wiedereröffnet.

Bis heute verweigert die Stadtverwaltung der NUB, wieder in das Gebäude einzuziehen. „Man gibt uns einfach die Schlüssel nicht“, sagt Bedita.

„Die Vijećnica ist der politische Spielball des Bürgermeisters“, sagt ein lokaler Fremdenführer seiner Reisegruppe, die er bis vors Eingangstor gebracht hat. Anstalten hineinzugehen, macht er nicht.

Hier würde Eintritt fällig. Fünf Mark, 2 Euro 50 pro Person. Vier Mark, zwei Euro, bei Großgruppen. Das Geld behält die Stadtverwaltung ein. Die Nationalbibliothek bekommt keinen Cent.

Etwas mehr als für das Gebäude scheinen sich die 30 Mitglieder der Reisegruppe für das halbe Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten zu interessieren, das auf den Steintreppen der Vijećnica sitzt und liest.

Sie sind bei der Protestgruppe „Jedan grad, jedna borba“ aktiv. Die Bürgerinitiative mit dem Kürzel JGJB setzt sich seit einem dreiviertel Jahr dafür ein, dass die NUB zurück in die Vijećnica ziehen darf.

Jeden Samstag um elf Uhr sind sie hier. Früher gab es die read ins auch dienstags. Das sieht man, leicht überdeckt, auf dem Transparent, das JGJB zwischen zwei Säulen aufgespannt hat.

„Smrt fašizmu, sloboda knjigama“ versucht Selma Asotić den kritischen Touristenführer und seine Gruppe anzuagitieren. „Tod dem Faschismus, Freiheit den Büchern“.

Das ist dem Mann doch zu deutlich. Er führt seine Reisegruppe Richtung Altstadt.

„Wir sind heute weniger als sonst“, sagt Selma, im Brotberuf Übersetzerin, Erwachsenenbildnerin und Dichterin. „Wir stehen jede Woche hier, da haben ein paar Leute eine Pause gebraucht.“

„Das Gebäude steht seit der Wiedereröffnung vor drei Jahren leer. Die Stadt benützt es nicht mal“.

Selma Asotić

„Hier wird öffentlicher Raum privatisiert und die Bürger dieser Stadt müssen Eintritt bezahlen, damit sie ein Gebäude betreten dürfen, das ihnen gehört.“

Zusätzlich zu den Eintrittsgebühren verdient die Stadt an Saalmieten. Wer genug Geld hat, kann die prächtige Kulisse der Vijećnica für Hochzeiten und Automessen nutzen.

Dass die Stadt wenig Interesse hat, mit der Nationalbibliothek den ehemaligen Besitzer des Gebäudes wieder in die Vijećnica hineinzulassen, erscheint nachvollziehbar. Wenn auch nicht zwingend legal.

Ein grotesker Rechsstreit

Der grotesken Situation, dass eine öffentliche Einrichtung einer anderen öffentlichen Einrichtung verwehrt, ein Gebäude in öffentlichem Eigentum zu benutzen, dessen Besitzerin die zweitgenannte öffentliche Einrichtung ist, liegt eine nicht minder groteske juristische Situation zugrunde. Bei der spielt die österreichische Botschaft in Sarajevo eine kleine Nebenrolle.

Die Vijećnica wurde von 1892 bis 1894 während der kuk-Zeit als Rathaus gebaut. Bis 1947 war es Sitz der Stadtverwaltung. Dann zog die Nationalbibliothek ein.

Seit dem Ende des sozialistischen Jugoslawien beanspruchen beide Einrichtungen das Gebäude für sich. Die Bibliothekgemäß der Besitztitel der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien, die Stadt nach dem Eigentumstitel aus dem Königreich Jugoslawien.

Wiewohl die Stadtverwaltung für die seinerzeitige Enteignung mit einem neuen Gebäude entschädigt wurde. Und die Nationalbibliothek bis heute keinen dauerhaften Ersatz hat. Die Häuserzeile am Uni-Campus ist als Provisorium gedacht.

Die beiden Einrichtungen streiten vor Gericht um die Vijećnica.

Was ist diplomatische Neutralität?

Just dieses Gebäude mietete jüngst die österreichische Botschaft von der Stadt und lud zum „Ersten Österreichischen Ball“.

Für viele Sarajli wie Dragan war der Ball ein rauschender Erfolg. „Endlich was zu sehen in dieser Stadt. Ein wirklich schönes Fest. Ich war selber dort“.

Die Lokalzeitungen waren voller Lob, das offizielle Sarajevo ohnehin.

In der Nationalbibliothek sieht man die Aktion als Affront. „Damit stellt sich die Botschaft doch eindeutig auf die Seite der Stadtverwaltung“, sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will. „Die Österreicher anerkennen damit, dass die Vijećnica der Stadt gehört und feiern das auch noch.“

Aktivistin Selma sieht das ähnlich. Auch unter anderen Sarajli stieß der Ball auf Kritik.

Anderswo wäre die Episode mit dem Ball vielleicht belanglos. Allein, in Bosnien zählt internationale Anerkennung besonders viel. Da kann auch eine Kleinigkeit die Wogen hochgehen lassen.

Ganz von der Hand zu weisen sind die Vorwürfe der Kritiker nicht. Die österreichische Botschaft hat mit einer Partei in einem langwierigen Gerichtsverfahren einen Vertrag geschlossen, bei der nicht klar ist, ob sie diesen Vertrag überhaupt schließen darf.

Ob das unter diplomatische Neutralität fällt?

Der österreichische Botschafter Martin Pammer weist gegenüber Balkan Stories die Bedenken zurück. Das Gebäude sei immer wieder für kulturelle Veranstaltungen internationaler Vertretungen genutzt worden. Die Republik Österreich habe damit keine Partei in dem laufenden Rechtsstreit ergriffen.

Lesen sie mehr auf die Nächste Seite!