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Balkan Geschichte

Sarajevo: Der zweite Tod der bosnischen Seele

FOTO: Balkan Stories

Was sich hinter einer offiziellen Nicht-Haltung verbirgt

„Es besteht keine offizielle Haltung der Republik Österreich zur Frage der Nutzung, auch wenn die Republik Österreich, gemeinsam mit Ungarn, Spanien und der EU die Kosten der Renovierung getragen hat. Das Verfahren ist abzuwarten und die dann erfolgende Entscheidung zu respektieren“, schreibt Pammer in seiner Stellungnahme.

Der Konflikt zwischen Stadt und NUB sei „ein anhängiges Gerichtsverfahren, bei dem zwei Seiten ihre (im Grunde wirtschaftlichen) Interessen betreiben. Die Vorstellung, dass die Vijećnica wieder für einen Bibliotheksbetrieb verwendet wird, halte ich persönlich weder für sinnvoll, noch derzeit – finanziell – überhaupt machbar. Jedenfalls ist der derzeitige Besitzer die Stadt Sarajevo, mit der Veranstaltungen in der Vijećnica vereinbart werden.“

Pammer bestreitet, dass die Förderungen für die Sanierung des Gebäudes an die Bedingung geknüpft worden seien, dass die Nationalbibliothek wieder einzieht.

Leere Versprechen

Bei der Wiedereröffnung vor drei Jahren gewann man einen anderen Eindruck. Das wird in einem Bericht von der Eröffnung 2014 deutlich, wo der Wortwechsel zwischen dem damaligen Bürgermeister und Lokalreporter beschrieben wird.

„In following, eager local reporters immediately interrupted him with angry questions about the allocation of 3066 m2 of office space to the city government, while only 2247 m2 is reserved for the library. These reporters stressed the issue that the Vijećnica had exchanged its administrative function, in 1947, to house culture, science and art as the national and university library. Ivo Komšić responded by referring to the reconstruction project, which provided for a multifunctional organization of the Vijećnica, whereby, there would be enough space for both the administrative and cultural institutions, even a museum.”

Oder, wie das Portal Balkan Insight ebenfalls über die Eröffnung schreibt:

“The reconstructed building will house the national library, the city council and a museum. It will also host a showpiece concert by the Vienna Philharmonic Orchestra on June 28, the centenary of the assassination in Sarajevo of Austro-Hungarian Archduke Franz Ferdinand, which helped to spark World War I.”

Die renommierte Nachrichtenagentur Reuters: “The building, which stands out in the city’s old Turkish quarter with its dark orange and yellow horizontal stripes and Islamic-style arches, will house the national and university libraries, the city council and a museum about its own history.”

Drei Jahre später spricht in der Stadtverwaltung niemand mehr von der Nationalbibliothek. Die Geldgeber sind weit und die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. Von den ihr angeblich zustehenden 3.066 m2 Bürofläche nutzt die Stadtverwaltung bis heute 0.

Sarajevo profitiert vom serbisch-nationalistischen Boykott

Dass die Causa noch nicht entschieden ist und die Stadtverwaltung von Sarajevo nach wie vor von den Einnahmen aus der Vijećnica profitiert, ist paradoxerweise der Blockadehaltung der Republika Srpska zu verdanken, deren Milizen die Nationalbibliothek 1992 in Brand gesetzt hatten.

So lange die RS die bosnische Nationalbibliothek nicht als solche anerkennt, ist aus juristischer Sicht unklar, wem die Nationalbibliothek gehört und welche Art von Institution sie ist. Und damit hat sie es schwer, vor Gericht eine Parteienstellung im Streit mit der Stadtverwaltung von Sarajevo zu erlangen.

Der Uni-Campus am Gelände der ehemaligen Tito-Kaserne ist ausdrücklich ein Provisorium.

„Die Vereinbarung, dass wir hier bleiben dürfen, läuft bis 2029“, sagt Bibliothekarin Bedita. „Bis dahin müssen wir eine Lösung finden.“

Das klingt nach viel Zeit. Nur wird die bosnische Tragödie auch nach bosnischer Zeitrechnung aufgeführt. Die setzt viel Geduld voraus, sofern es nicht um kommerzielle Interessen geht.

Das kulturelle Gedächtnis Bosniens fällt definitiv nicht darunter, mag auch Botschafter Pammer von „wirtschaftlichen Interessen“ sprechen. Dass es in den nächsten zwölf Jahren eine tragfähige Lösung gibt, erscheint angesichts des enden wollenden Engagements aller Akteure außerhalb der NUB mehr als fraglich.

Erinnerungen ans Nationalmuseum

Es wäre nicht die erste zentrale kulturelle und wissenschaftliche Einrichtung des Landes, die schließen muss.

Das Nationalmuseum war zwei Jahre lang geschlossen, nachdem die RS ihm die Anerkennung und Finanzierung entzogen hatte.

Erst nach massivem öffentlichem Druck sagte die Regierung der Federacija eine provisorische Finanzierung zu.

Dass die Bestände während der Schließung keinen Schaden nahmen, ist dem Engagement der Belegschaft zu verdanken. Sie konservierten die Sammlung zwei Jahre lang ohne Gehalt, mit Unterstützung der Organisationen Akcija und „Ja sam muzej“.

Mit der Nationalbibliothek droht der kulturellen Seele des Landes ein ähnliches Schicksal. Und wiede sehen die politischen Verantwortlichen zu.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.