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BRAIN-DRAIN

Wenn die junge Elite das Land verlässt: Kroatien

Wie sind Ihre Prognosen hinsichtlich dieses Brain Drains?

In unserer ganzen Region wird eine falsche Vorstellung davon gepflegt, wie begehrt unsere hochgebildeten Arbeitskräfte in Deutschland sind. Die Wahrheit ist, dass unsere Hochausgebildeten für Deutschland gar nicht so interessant sind. Deutschland hat hauptsächlich einen Mangel im Bereich der Handwerksberufe. In den kommenden 25 Jahren werden in Deutschland im Bereich der Handwerksberufe ca. 15 Millionen Arbeitsplätze fehlen. D.h. Deutschland braucht unsere Handwerker, oder präziser, die Deutschen suchen Dienstleistungen, Arbeitskräfte, die Dienste verrichten, keine Produktionsarbeiter und keine intellektuellen Arbeitskräfte. Die Wahrheit ist, dass die gesellschaftlich-humanistischen Fachrichtungen (die Hochgebildeten) auf dem deutschen Arbeitsmarkt die schlechtesten Chancen haben. Es gibt viele kroatische Emigranten, die nicht wissen, was sie mit ihrem Diplom in Deutschland anfangen sollen. Wenn jemand, der gut ausgebildet ist, die Heimat verlässt und in München Taxi fährt, dann ist er keinerlei Gewinn für das Zielland, aber ein großer Verlust für das Herkunftsland. Unter anderem nehmen unsere Auswanderer solche Arbeiten an, weil sie in Deutschland niemand kennt und sie sich nicht erniedrigt fühlen. Es gibt viele solcher Geschichten. Aber wir müssen auch ehrlich sein und sagen, dass es Menschen gibt, die darum auswandern, weil sie in Kroatien einfach keine Chance haben.

Unsere Untersuchung zeigt, dass die meisten Auswanderer die Mittelschule abgeschlossen haben (60,7 %), während der Anteil der Hochgebildeten 37,8 % beträgt. D.h. mehr als ein Drittel sind Akademiker. Beides ist ein unwahrscheinlicher Verlust an sozialem Kapital, der einfach nicht ausgeglichen werden kann.

„Deutschland braucht unsere Handwerker, oder präziser, die Deutschen suchen Dienstleistungen, Arbeitskräfte, die Dienste verrichten, keine Produktionsarbeiter und keine intellektuellen Arbeitskräfte. Wenn jemand, der gut ausgebildet ist, die Heimat verlässt und in München Taxi fährt, dann ist er keinerlei Gewinn für das Zielland, aber ein großer Verlust für das Herkunftsland.“

Kann man etwas tun, um den Brain-Drain zu stoppen oder zumindest zu vermindern, und wer ist dafür in erster Linie verantwortlich?

Wie bereits in unserer Studie dargestellt, handelt es sich nicht nur um einen Abfluss von geistigem Kapital, sondern auch um den Verlust der biologischen Grundlage für die Reproduktion des kroatischen Volkes überhaupt.

Das Problem der Auswanderung ist auf jeden Fall nicht eindimensional und es gibt nicht nur einen Schuldigen bzw. einen ausschlaggebenden Faktor. Unserer Meinung nach haben fünf Faktoren zur Abwanderung geführt:

1.) Migrationsbewegungen sind von Interessen geleitet und passieren nicht zufällig, sondern sie werden erzeugt.

2.) Die Schwäche der kroatischen Institutionen und die Unmoral und Inkompetenz der kroatischen politischen Eliten: Unsere Untersuchung weist auf eine klare Verbindung zwischen der politischen Elite, den schwachen Institutionen und der Abwanderung hin. Die mangelnde Moral der politischen Eliten, die rechtliche Unsicherheit, Nepotismus und Korruption stehen an der Spitze der gesellschaftlichen Motive, die zur Abwanderung beigetragen haben.

3.) Die weitläufigen Netzwerke der kroatischen Migranten aus der Vergangenheit: in Deutschland bzw. die „Tradition“ der Auswanderung von Kroaten nach Deutschland (das gute Image Deutschlands in Kroatien).

4.) Strukturelle Probleme: Die mittelgroßen Städte hätten ihre Bevölkerung mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung halten müssen, aber aufgrund fehlender Modernisierung ist ihnen das nicht gelungen. Ein Großteil der jüngeren Abwanderungen ist eigentlich Teil des umfassenderen Trends der Landflucht. Aber da die Arbeitslöhne in Kroatien und in den kroatischen Regionen von Bosnien-Herzegowina die Bezahlung einer Wohnung und die Deckung der Grundbedürfnisse des Lebens nicht erlauben (bzw. da man diese damit kaum erfüllen kann), entscheidet sich die Mehrheit logischerweise für Städte, in denen das möglich ist (in diesem Fall für deutsche Städte). Einfacher gesagt: Die meisten würde eher von z.B. Glina nach Zagreb übersiedeln als nach Deutschland, wenn Zagreb seinen zugewanderten Arbeitskräften ein Leben dort ermöglichen würde.

5.) Das Interesse Deutschlands: Allen relevanten Studien zufolge befindet sich Deutschland vor einem  Generationswechsel, dessen Hauptcharakteristikum eine Entvölkerung ist. Darum wird Deutschland schon in kurzer Zeit jedes Jahr mindestens eine halbe Million Arbeitskräfte ins Land holen müssen, um den Arbeitsmarkt und ein funktionierendes Rentensystem auf dem heutigen Niveau aufrechtzuerhalten. Die Immigration aus anderen EU-Ländern wird sinken, denn alle EU-Länder sind demographisch verarmt.

Wenn Sie nach Maßnahmen fragen, die die Abwanderung verhindern oder verringern könnte, dann sind das Maßnahmen, die viel mehr erfordern und die viel tiefer in alle Poren der kroatischen Gesellschaft reichen als die Maßnahmen, die derzeit angeboten werden. Die Maßnahmen, die heute angeboten werden (höheres Kindergeld, verlängerte Kindergartenöffnungszeiten etc.) hätten eine Wirkung gehabt, wenn sie vor zehn Jahren unternommen worden wären, aber in der heutigen Situation der kroatischen Gesellschaft und des Staates, nützen sie nichts. Demographische Maßnahmen sind Maßnahmen für eine gesunde Gesellschaft, aber die kroatische Gesellschaft ist heute eine schwerkranke Gesellschaft.

PERSÖNLICHE GESCHICHTE: Zvonimir Spajić (32), Master der Informatik, Fakultät für Elektronik und Informatik in Zagreb.

Zvonimir Spajić
Zvonimir Spajić (FOTO: zVg.)

„Es gibt viele Phänomene in meinem Land, die man als enttäuschend bezeichnen kann. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht und in Kroatien herrscht im Moment eine Auswanderungswelle von Leuten, die die Frage ihrer Existenz dort nicht zufriedenstellend lösen können. Es gibt auch viele gesellschaftliche Phänomene und Beispiele von Dysfunktionalität des Staatsapparats und des Rechtsstaats. Aber diese Enttäuschung ist nicht so groß, dass sie für meine Übersiedlung ausschlaggebend gewesen wäre. Ich versuche, meine Heimat objektiv zu sehen. Dort gibt es viele reale Probleme, aber es gibt auch positive Dinge. Meine Auswanderung finde ich nicht allzu dramatisch. Die Lage in der IT-Industrie ist in Kroatien noch immer relativ günstig, es gibt Arbeit, die Löhne sind für kroatische Verhältnisse wahrscheinlich auch überdurchschnittlich, sodass man ganz gut davon leben kann. Darum habe ich keinerlei Druck, dass ich es im Ausland ’schaffen‘ muss bzw. dass es kein Zurück gibt. Wenn ich irgendwann merke, dass ich nach Kroatien zurück möchte, werde ich heimkehren. Was die Erhaltung des heimatlichen Erbes betrifft, so ist mir das nicht besonders wichtig. Unser Leben lang stehen wir unter dem Einfluss unserer Umgebung und unsere Identität verändert sich. Wenn ich mir vorstelle, in einem fremden Land zu leben, aber ‚meine alte‘ Kultur zu pflegen, dann klingt das für mich, als würde ich auf der Stelle treten und das verpassen, was mir die neue Kultur bieten kann.“.

Für weitere Informationen empfehlen wir, die Webseite www.iseljavanje-hrvata.jimdo.com zu besuchen und das Buch von Tado Jurić: Gubimo li Hrvatsku. Iseljavanje Hrvata u Njemačku. Školska knjiga, Zagreb, 2018, zu lesen.