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EXKLUSIVES-INTERVIEW

Außenpolitik-Experte Boško Jakšić: „Es gibt Ähnlichkeiten zwischen dem Kosovo und der Ukraine“

Außenpolitik-Analytiker und Journalist, Boško Jakšić (FOTOS: Kurir, Twitter/@ThomasVLinge)

Viele Analytiker vergleichen die aktuelle Situation in der Ukraine mit der am Balkan 1999. Der serbische Außenpolitik-Analytiker Boško Jakšić ortet sowohl Ähnlichkeiten, als auch Unterschiede.

Donnerstagfrüh hat Russlands Präsident Wladimir Putin einen Großangriff auf die Ukraine begonnen, nachdem er die Separatistengebiete Donezk und Luhansk Anfang der Woche als unabhängig erklärt hatte (KOSMO berichtete). Viele Analytiker und Politologen vergleichen die aktuelle Situation in der Ukraine mit der am Balkan – konkret mit der Intervention im Kosovo. KOSMO hat mit dem serbischen Außenpolitik-Analytiker und Journalisten, Boško Jakšić, über die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Operationen sowie den Verlauf der Ukraine-Krise gesprochen.

KOSMO: In den letzten Tagen konnten wir in vielen Balkanmedien lesen, dass die Situation in der Ukraine der Situation damals, in Jugoslawien im Jahr 1999, als der Krieg ausbrach, sehr ähnlich ist. Was sind die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede?
Boško Jakšić: Ja, es gibt eine grundlegende Ähnlichkeit, die sowohl im Westen als auch im Osten fanatisch geleugnet wird: die Bereitschaft von Großmächten, internationales Recht zu verletzen, wenn sie glauben, dass dies in ihrem Interesse liegt. Die Vereinigten Staaten bombardierten die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 ohne Erlaubnis des UN-Sicherheitsrates, um das Projekt vom unabhängigen Kosovo zu verwirklichen. Im Jahr 2022 erkannte Russland zwei pro-russische Teilgebiete der Ostukraine [Anm. Donezk und Lugansk] als unabhängig an. In beiden Fällen – sowohl im ehemaligen Jugoslawien als auch in der Ukraine – wurden die Souveränität und territoriale Integrität ernsthaft verletzt und die einseitigen Bestrebungen der Vereinigten Staaten damals bzw. von Russland heute haben es verhindert, dass das Problem durch Diplomatie und Verhandlungen gelöst wird. Moskau macht Washington für den Kosovo verantwortlich, das Weiße Haus macht den Kreml für die Ukraine verantwortlich, und die größten Opfer sind Frieden und Wohlstand auf dem Westbalkan und in Osteuropa.

Es gibt aber auch einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Situationen: Der künftige Status der Ukraine – innerhalb oder außerhalb der NATO – wird die Sicherheitsarchitektur Europas in den kommenden Jahren weitgehend bestimmen, während die Kosovo-Frage diese globale Dimension vermissen lässt und auf die europäische Peripherie beschränkt ist.

Russland hat zwei selbsternannte Republiken auf ukrainischem Territorium als unabhängig anerkannt und dann eine militärische Intervention gegen die Ukraine gestartet. Wie könnte die Reaktion der NATO in der kommenden Zeit aussehen?
Die Anerkennung der „Unabhängigkeit“ von Donezk und Lugansk ist ein Versuch, die Dinge so darzustellen, als ob russische „Friedenstruppen“ nicht das Territorium der Ukraine unerlaubt betreten hätten, sondern auf Einladung des „Brudervolkes“ kommen wären. Das ist das gleiche Szenario, das bereits im Sommer 2008 in Georgien angewendet wurde, um die proklamierten „unabhängigen Republiken“ Abchasien und Südossetien auszurufen.

Putin ist jedoch entschlossen, die Ukraine gewaltsam mithilfe militärischer Interventionen „entmilitarisiert“ bzw. „neutral“ unter seine Kontrolle zu bringen, was erst der zweite derartige Fall in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist. Der Westen und die NATO sind nicht bereit, militärisch auf Putins Provokation zu reagieren, und haben bisher nur Sanktionen gegen Russland beschlossen: Strafen gegen den russischen Finanz- und Energiesektor könnten dieses Mal viel effektiver sein als je zuvor.

Glauben Sie, dass es eine militärische Intervention der NATO in den Gebieten der selbsternannten Republiken geben wird?
Das ist unmöglich. Die NATO ist nicht bereit für eine groß angelegte militärische Konfrontation, und sie wird sich sicherlich nicht auf einen solchen Konflikt einlassen, da die Teile von Donbass de facto seit 2014 unter russischer Kontrolle sind und außerhalb der Reichweite der zentralen Behörden in Kiew liegen.

Wie beurteilen Sie die Diplomatie, die Serbien derzeit zu diesem Thema betreibt?
Präsident Aleksandar Vučić und die serbische Diplomatie gerieten aufgrund der Ukraine-Krise in einen Zustand des Schocks und der Verwirrung. Putin hat seinen Freund in Belgrad in die Bredouille gebracht, und der weiß nicht, wie er da wieder herauskommen soll.

Präsident Vučić meinte zunächst, dass die Meinung Serbiens in der Ukraine-Krise nicht gefragt sei. Doch wenig später behauptete er, dass Serbien diesbezüglich unter großem Druck stehe. Warum ist die Position Serbiens plötzlich von internationaler Bedeutung?
Nur zwei Tage vor Putins Pressekonferenz sagte Vučić, dass niemand Druck auf Serbien ausübe und um eine Entscheidung aus Belgrad bitte, aber nach der Entscheidung des Kreml-Chefs, den Separatismus anzuerkennen, behauptete der serbische Präsident, er stehe unter unbeschreiblichem Druck. Vučić vermeidet, eine Seite zu wählen und sagt deshalb: „Wir müssen uns unter einem Stein verstecken wie kleine Kinder“. Das sieht nicht nach Politik aus.

Nach der Aufforderung des ukrainischen Botschafters in Belgrad an Serbien, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, sagte Vučić, die Ukraine solle zunächst die Nato-Aggression gegen Serbien von 1999 verurteilen. Welche diplomatische Botschaft sendet eine solche Erklärung aus?
Es ist klar, dass Serbien, wie in der Zeit nach der russischen Krim-Annexion 2014, nicht beabsichtigt, dem Westen bei der Sanktionierung Russlands zu folgen. In all diesen acht Jahren hat sich Belgrad nie den EU-Resolutionen angeschlossen, die die Annexion verurteilten. Diese Antwort von Vučić ist eine misslungene rhetorische Akrobatik. Und das gegenüber der Ukraine, die die Unabhängigkeit vom Kosovo nicht anerkennt. Alles wirkt ziemlich peinlich.

Welche Konsequenzen kann es für Serbien haben, wenn es in diesem Streit die falsche Seite wählt?
Die erste und grundlegende Frage lautet: Was ist die „falsche Seite“ für das aktuelle Regime in Belgrad? Anscheinend wird Vučićs Regierung die getätigten Schritte Moskaus nicht eindeutig verurteilen. Somit wird der Trend der letzten Jahre fortgeführt, sich von der Europäischen Union zu entfernen und sich Russland und China anzunähern. Serbien bekennt sich offiziell zur europäischen Integration, unternimmt aber Schritte, die einem Kandidatenland für die EU-Mitgliedschaft nicht angemessen sind. Nach den Regierungswechseln in Washington und Berlin wird eine solche Politik nicht ohne Sanktionen auskommen – wie zu Zeiten von Angela Merkel.

Wie sehen Sie persönlich die weitere Entwicklung der Situation zwischen Russland und der Ukraine?
Unter solchen Umständen ist es schwierig, sich die Ukraine in der NATO vorzustellen, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj es sich wünscht. Dies schafft, wie man sieht, zu viele Probleme, sowohl für den Westen als auch für Russland. Die Diplomatie ist dran. Putin hat mit seiner Entscheidung das Minsker Abkommen, das Moskau und Kiew 2015 mit Hilfe Frankreichs und Deutschlands erreicht haben, faktisch annulliert. Dieses Abkommen hat aber ohnehin in der Praxis nie funktioniert, weil die Hauptakteure der Krise es diametral entgegengesetzt gelesen haben. Es muss ein neues Format gefunden werden, in das Amerika einbezogen werden soll, denn in dieser Krise geht es weniger um die Ukraine, sondern vor allem um die europäische Sicherheit und den amerikanisch-russischen Wettbewerb um globale Einflüsse. Bis sich die diplomatische Maschinerie nicht bewegt, werden wir in einer neuen Version des Kalten Krieges leben. Sowohl zwischen dem Osten und Westen als auch zwischen Russland und der Ukraine.

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